Wenn die Symptom-Suche im Web krank macht

 

Das Internet erleichtert den Alltag ungemein, birgt aber auch zahlreiche Schattenseiten. Eine davon – das Suchen nach Krankheitssymptomen und Finden von schweren Erkrankungen. Aber was verbirgt sich hinter dem Phänomen ‚Cyberchondrie‘?

Mit dem Internet ist es innerhalb von wenigen Augenblicken möglich, sich einen umfangreichen Überblick über verschiedenste Dinge zu verschaffen. Man sucht nach einem neuen Rezept, erhält immer aktuelle Nachrichten aus der ganzen Welt oder googelt nach Geschenkideen für diverse Anlässe. Kein Zweifel – das Internet liefert zu allen Suchbegriffen die passenden Ergebnisse. Aber durch die riesige Bandbreite an Informationen ist es nicht immer so leicht, Seriöses herauszufiltern. Und wenn es dann auch noch um die Gesundheit geht, kann die Internetrecherche nachteilig sein, ja sogar krank machen.

Cyberchondrie stellt ein Problem dar.

Das Phänomen der sogenannten Cyberchondrie verbreitet sich durch die Nutzung des Internets schnell. Abgeleitet von Hypochondrie beschreibt der Begriff das Suchen nach eigenen Symptomen im Web und das darauffolgende Einbilden einer schweren Krankheit.1 „Wer nicht nur Informationen sucht, sondern anfällig ist für Krankheitsängste, findet im Internet schnell seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt“2, wie die an der Universität Mainz forschende Diplom-Psychologin Maria Gropalis erklärt. Bei der Suche im Internet nach bestimmten Symptomen werde man sehr schnell verunsichert, so Gropalis weiter. Die Fülle an unklaren und zum Teil sehr widersprüchlichen Auskünften führe zu einer größeren Beunruhigung.3 „Vor allem in Foren findet man zu den jeweiligen Symptomen natürlich die dramatischsten Geschichten“4, womit das Internet zu einer „Quelle der Angst“5 werde.

Auch in Österreich ist die Symptom-Suche im Web weit verbreitet: Mehr als jede*r dritte Österreicher*in hat sich gemäß einer Befragung schon im Web über Gesundheitsfragen informiert.6 Die an der Uni Wien tätige Professorin Ulrike Felt, Schwerpunkt Wissenschafts- und Technikforschung, erklärt, warum dahin gehend häufig ‚Dr. Google‘ konsultiert wird, nämlich weil die ansprechend aufbereitete Vielfalt an Informationen, welche ständig aktualisiert werden, für viele sehr attraktiv erscheine.7 Aber für all jene Personen, die sich bereits mit Hypochondrie konfrontiert sehen, kann das Suchen nach Krankheiten im Internet belastend sein.

Wenn die Symptom-Suche tatsächlich krank macht.

Wie ausgeprägt diese Gesundheitsrecherche sein kann und welche Auswirkungen sie nach sich zieht, erläutert die in München lebende Leonie: Täglich surft sie zwischen zwei und vier Stunden im Internet und sucht nach möglichen Krankheiten zu ihren Schmerzsymptomen. „Ich muss doch nur ins Internet gehen, dann stoße ich schnell auf ein Krankheitsbild, das auf mich zutrifft“8, wie sie schildert. Ärztliche Untersuchungen haben allesamt ergeben, dass sie gesund ist, aber Leonie kann den Diagnosen keinen Glauben schenken. „Ich kann einfach nicht anders, ich suche regelrecht nach Hinweisen, die darauf hindeuten, dass ich ernsthaft krank bin“9. Sie könne nicht mehr Urlaub fahren, weil ein Hotel zu weit von einem Krankenhaus entfernt sein könnte und auch ein Testament habe sie bereits festgelegt, sollte sie an einer tödlichen Krankheit leiden. Deswegen könne sie nachts auch kaum noch schlafen.10

Was für Außenstehende verrückt klingen mag, darf jedoch nicht unbeachtet bleiben. „Das ist keine Spaßkrankheit. […] Sie schämen sich, fühlen sich nicht ernst genommen. Doch die Symptome sind ja nicht eingebildet. Sie sind da, werden aber falsch interpretiert“11, wie Gropalis weiter erläutert. Deswegen sei Hypochondrie – oder in diesem Fall die Cyberchondrie – ernst zu nehmen: Wer über mehrere Monate hinweg trotz medizinischer Abklärung und Unauffälligkeit von der Angst vor Krankheiten betroffen ist, benötigt auch Hilfe.12

Hypochondrie als Krankheitsbild

Dahinter verbringt sich nämlich eine sogenannte Gesundheitsangststörung, die gemäß dem ICD-10 den somatoformen Störungen zuzuordnen ist (F45.2).13 Wie es genau zu dieser Krankheit kommt, ist bis heute nicht geklärt. Ausgegangen wird deswegen auch von mehreren Ansätzen: Ein Erklärungsversuch für das Ausbilden der Erkrankung besteht im Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit, was mit einem geringen Selbstbewusstsein einhergeht. Auch könnte Hypochondrie auf die Kindheit zurückgehen, indem negative Krankheitserlebnisse gemacht wurden oder auch nahestehende Personen erkrankt sind. Ein weiteres Merkmal der Angststörung ist jenes, dass Betroffene stets die Möglichkeit nutzen, um über mögliche Krankheiten oder um über die Angst an sich zu sprechen, was auch langfristige Auswirkungen auf die soziale Interaktion und das Sozialleben im Generellen haben kann.14

Deswegen bedarf es auch einer Behandlung.

Denn wenn die Krankheitsmerkmale bereits stark ausgeprägt sind und sie das Alltagsleben markant einschränken, so sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden. Erste Anlaufstelle ist hierbei die/der Hausärztin/Hausarzt, die/der sodann an entsprechende Psychiater*innen bzw. Psycholog*innen überweist. Durch intensive Gespräche kann dabei die Grundursache für die ausgeprägte Gesundheitsangststörung eruiert werden; in den meisten Fällen kommt während der Behandlung die kognitiv-behaviorale Therapie zur Anwendung, bei welcher die Denkmuster der Patient*innen gemeinsam geändert werden.15

Neben der Einzelsitzung können auch Gruppentherapien, beispielsweise in Form von Selbsthilfegruppen, hilfreich sein. Auch Leonie hat ihre Symptom-Suche im Web als Hypochondrie erkannt. Sie besucht deswegen seit einigen Monaten eine Selbsthilfegruppe und macht auch Fortschritte: „Wir haben festgestellt, dass jeder schon mal gedacht hat, mindestens einmal an einem Gehirntumor erkrankt zu sein. Eigentlich wären wir alle längst tot“16, wie sie erzählt.

Das übermäßige Suchen im Internet nach möglichen Krankheiten für bestimmte Symptome sollte also im Idealfall kaum bis gar nicht betrieben werden; stattdessen wäre ein klärendes und unvoreingenommenes Gespräch mit Ärzt*innen ratsam. Wenn jedoch bereits eine ausgeprägte Hypochondrie gegeben ist, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden, denn unbehandelt kann sie weitreichende Einschränkungen nach sich ziehen und stark belastend auf die Psyche wirken.

 


[1] Vgl. dpa/aerzteblatt.de: Dr. Google kann Ärzte nicht ersetzen. In: aerzteblatt.de. Veröffentlicht am 28.11.2018.
URL: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/99463/Dr-Google-kann-Aerzte-nicht-ersetzen [Stand: 06.05.2021].

[2] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit. In: stern.de. Veröffentlicht am 07.02.2011.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[3] Vgl. Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[4] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[5] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[6] Vgl. Bayer, Florian: Wie „Dr. Google“ die Arzt-Patient-Beziehung verändert. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 25.02.2015.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000012044302/wie-dr-google-das-die-arzt-patient-beziehung-veraendert [Stand: 06.05.2021].

[7] Vgl. Bayer, Florian: Wie „Dr. Google“ die Arzt-Patient-Beziehung verändert. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 25.02.2015.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000012044302/wie-dr-google-das-die-arzt-patient-beziehung-veraendert [Stand: 06.05.2021].

[8] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[9] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[10] Vgl. Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[11] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[12] Vgl. Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

[13] Vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: ICD-10-GM Version 2021. Kapitel v. Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99). Aktualisiert am 18.09.2020.
URL: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2021/block-f40-f48.htm [Stand: 06.05.2021].

[14] Vgl. Schulz, Cindy: Hypochonder – Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. In: Focus Online. Veröffentlicht am 11.01.2021.
URL: https://praxistipps.focus.de/hypochonder-ursachen-symptome-und-behandlungsmoeglichkeiten_128192 [Stand: 06.05.2021].

[15] Vgl. Schulz, Cindy: Hypochonder – Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. In: Focus Online. Veröffentlicht am 11.01.2021.
URL: https://praxistipps.focus.de/hypochonder-ursachen-symptome-und-behandlungsmoeglichkeiten_128192 [Stand: 06.05.2021].

[16] Schindler, Sylvie-Sophie: Die Todesangst klickt mit.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/cyberchondrie-die-todesangst-klickt-mit-3669300.html [Stand: 06.05.2021].

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Veröffentlicht am: 16.06.2021