Stressfalle: Freizeit
Freizeitstress klingt zunächst nicht wirklich nach Stress an sich, sondern nur nach zahlreichen Aktivitäten, denen außerhalb von der täglichen Arbeit nachgegangen wird. Warum belastet er aber dennoch das seelische Wohlbefinden?
Gerade jetzt in der Weihnachtszeit gestaltet sich die zur Verfügung stehende Freizeit für viele hektisch: Nach der Arbeit schnell ein paar Weihnachtsgeschenke besorgen, dann der Verabredung zum Glühwein nachgehen, dazwischen etwas essen, sich dem Haushalt widmen; am nächsten Abend ist schon das nächste Weihnachtsmarkt-Treffen geplant, und am Wochenende stehen mehrere Verwandtschaftsbesuche auf dem Programm; außerdem müssen die Kekse noch gebacken werden, das Haus soll bis Weihnachten im Lichterglanz erstrahlen, die Feiertage müssen so geplant werden, sodass die zahlreichen familiären Zusammenkünfte zeitlich nicht kollidieren … und schon ist der Advent vorbei, die Feiertage und der Jahreswechsel stehen unmittelbar bevor. Wo ist dabei nur die Zeit geblieben? Und warum fühlen wir uns trotz der aktiven Freizeit so dermaßen gestresst?
Freizeitstress hoch 10
Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst sinnvoll, den Begriff Freizeit näher zu betrachten: Aus wissenschaftlicher Sicht definiere sich Freizeit über Freiwilligkeit, sagt der Freizeitforscher Ulrich Reinhardt.1 „Das heißt, wenn man etwas tut, ohne es tun zu müssen, dann ist das die klassische Freizeit“2, so seine Erläuterung. Freizeit wird in diesem Zusammenhang als sogenannte Dispositionszeit betrachtet, also als Zeit, über die frei verfügt wird. Davon zu unterscheiden sind die Determinationszeit (Arbeitszeit, die fremdbestimmt ist), die Regenerationszeit (Schlaf) sowie die Obligationszeit (Zeit, in welcher wir den Dingen nachgehen, die erledigt werden müssen, beispielsweise Haushaltsarbeiten, Einkäufe etc.). Gemäß dieser Aufteilung kommt Reinhardt zu dem Schluss, dass „[v]iele Aktivitäten, die wir scheinbar in unserer Freizeit ausüben, […] also gar keine Freizeit, sondern Obligationszeit“3 seien. Und Stress entsteht sodann, „wenn wir uns in unserer – meist knapp bemessenen – Dispositionszeit viel mehr vornehmen als uns guttut“4, so Reinhardt.
Was hinsichtlich der zuvor angeführten Definition zudem auffällt – unsere auf Freiwilligkeit basierende Freizeit wird häufig mit (zu vielen) Aktivitäten verplant, auf die wir eigentlich keine Lust haben: „Häufig ist das große Problem, dass ich zu vielen Freizeitangeboten ‚Ja‘ sage, aus Angst, etwas Großartiges zu verpassen“5, führt Reinhardt weiter aus. Daraus resultiert schließlich der Zwang zur Optimierung der uns zur Verfügung stehenden Zeit – mit dem Ergebnis, „dass wir es generell nicht schaffen, in der Freizeit das zu tun, was wir eigentlich wollen“6 und fortwährend das Gefühl haben, „auch in der Freizeit ständig performen zu müssen“7, sagt Reinhardt.
Eine aus dem Jahr 2023 repräsentative Umfrage unter 2.042 Personen ergab dahin gehend, dass 37 % der Befragten gar nicht oder nicht gut entspannen können; viele davon empfinden die Freizeit als zu hektisch. Insgesamt tätigten 50 % der Befragten die Aussage, dass sie manchmal bis sehr häufig Freizeitstress empfinden, unter Druck bzw. Zeitdruck stehen würden.8 Deswegen rät Reinhardt auch zu mehr „Egoismus, was die Freizeit angeht“9.
Was sind deine Hobbys?
Dieser Egoismus betrifft beispielsweise die eigenen Hobbys, doch was viele in der Umfrage kundtaten: Die Freizeit reiche häufig nicht aus, um geliebten Aktivitäten nachzugehen.10 Dabei verhelfen gerade diese dazu, „dass es einem bei der Ausübung besser geht“11, sagt Reinhardt. Man vergesse dabei die Zeit, tauche tief in die Tätigkeiten ein – und erfreue sich sodann an den positiven Effekten, welche die individuellen Hobbys mit sich bringen würden.12 Wissenschaftlich erwiesen ist nämlich, dass Hobbys die körperliche und seelische Balance aufrechterhalten, zu mehr Lebenszufriedenheit führen und Depressionen vorbeugen können.13 Freizeitstress, der sich durch Fremdbestimmung und die fehlende Zeit, Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen, kennzeichnet, führt hingegen zu Stresssymptomen, die Schlafstörungen, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit zur Folge haben, im schlimmsten Fall Burn-out bis hin zu Depressionen verursachen.14
Tipps gegen Freizeitstress
Demgemäß gilt es also, Freizeit wieder als solche zu gestalten, für Ausgewogenheit zwischen Dispositions- und Obligationszeit und gleichzeitig für genügend Regenerationszeit zu sorgen, die Angst, etwas zu verpassen, zu überwinden und sich lieber darauf zu konzentrieren, was einem selbst guttut: „Es ist okay, wenn ich in der Badewanne liege oder tagträumend auf der Wiese in die Luft schaue“15, sagt Reinhardt. Außerdem verhelfen die nachstehenden Tipps dazu, die Zeit außerhalb der Arbeit wirklich gewinnbringend und förderlich für das psychische Wohlbefinden zu nutzen:16
- Freizeit nicht komplett durch-/verplanen
Anstatt Freizeittermine wie eine To-do-Liste durchzuplanen und schließlich abzuarbeiten, hilft es, sich manchmal einfach nichts vorzunehmen. So bleibt mehr Zeit für sich selbst und für die Dinge, die in der Freizeit wirklich getan werden wollen. - Terminabsagen erlaubt
Die 5. Glühwein-Einladung ermüdet nur, anstatt sich auf das Zusammentreffen zu freuen? Man muss keine Scheu haben, solch einen ‚Freizeittermin‘ abzusagen, stattdessen kann das Treffen zu einem anderen, passenderen Zeitpunkt nachgeholt werden. Es muss ja nicht zwingend der Glühwein/Weihnachtsmarkt sein. - Offline gehen
Ein großes Problem – wir sind ständig erreichbar und immerzu online. Das Handy soll in der Freizeit auch mal ausgeschaltet werden. Und fortwährend in sozialen Netzwerken ‚unterwegs‘ zu sein, lässt die Zeit im Nu verfliegen, ohne dass wir sie mit den eigenen Bedürfnissen gefüllt haben. Es gilt also, hin und wieder nicht erreichbar zu sein und offline zu gehen, um sich jenen Tätigkeiten widmen zu können, die uns Freude bereiten. - Genussvolles Nichtstun
Keine Angst davor, etwas zu verpassen! Hat man beispielsweise keine Lust, sich mit Freund*innen zu treffen, sondern lieber auf der Couch zu sitzen, Musik zu hören und dabei nichts zu tun, dann sollte diesem Bedürfnis auch nachgegangen werden. Die Freude an der aktuellen Tätigkeit steht in der Freizeit nämlich an erster Stelle. - Ausgleich zwischen Ruhe und Aktivität
Demgemäß ist es also wichtig, genügend Ruhephasen für sich selbst einzuplanen. Vernachlässigen sollte man gewinnbringende und gesundheitsförderliche Freizeitbeschäftigungen – das Treffen mit Freund*innen oder Sporteinheiten – dennoch nicht. Eine Balance zwischen aktiver Freizeitgestaltung und erholsamer Zeit (mit sich selbst oder anderen) sollte unbedingt vorherrschen.
Selbst- statt Fremdbestimmung lautet das Motto, um unsere Freizeit wirklich genießen zu können und aus ihr Kraft zu tanken. Es gilt, abseits der Arbeit jenen Aktivitäten nachzugehen, die Freude bereiten, unseren (aktuellen) Bedürfnissen entsprechen und uns nicht in Stress versetzen. So wird Freizeitstress effektiv vermieden, während individuell ‚gewinnbringende‘ Aktivitäten positiv auf das psychische und körperliche Wohlbefinden einwirken.
Damit wünschen wir Ihnen noch ruhige, entspannte Adventtage, ein gemütliches, stressfreies Weihnachtsfest und einen guten, angenehmen Start in das neue Jahr!
1 Vgl. Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen. In: ardalpha.de. Veröffentlicht am 07.02.2024.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
2 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
3 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
4 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
5 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
6 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
7 dpa: Umfrage: Freizeitstress statt Erholung? In: zdf.de. Veröffentlicht am 08.01.2024.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/freizeit-stress-erholung-schlaf-entspannen-100.html [Stand: 10.12.2024].
8 Vgl. Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
9 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
10 Vgl. Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
11 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
12 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
13 Vgl. Bartens, Werner: Hobbys gegen den Frust. In: dueddeutsche.de. Veröffentlicht am 11.09.2023.
URL: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-gesundheit-hobbys-bewegung-spiel-1.6216139 [Stand: 10.12.2024].
14 Vgl. Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024] und
vgl. Ohl, Lisa: Freizeitstress: Ursachen, Symptome und was Sie tun können. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 31.07.2023.
URL: https://praxistipps.focus.de/freizeitstress-ursachen-symptome-und-was-sie-tun-koennen_164505 [Stand: 10.12.2024].
15 Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024].
16 Vgl. Huber, Ortrun: Warum ihr keine Angst haben solltet, etwas zu verpassen.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/freizeit-stress-freizeitstress-fomo-angst-verpassen-erholung-100.html [Stand: 10.12.2024] und
vgl. Ohl, Lisa: Freizeitstress: Ursachen, Symptome und was Sie tun können. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 31.07.2023.
URL: https://praxistipps.focus.de/freizeitstress-ursachen-symptome-und-was-sie-tun-koennen_164505 [Stand: 10.12.2024].
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Veröffentlicht am: 18.12.2024