Schuldgefühle – wie Gewissensbisse an der Seele zehren

 

Jede*r kennt sie und will sie vermeiden – Schuldgefühle. Warum aber fühlen wir uns manchmal schuldig und wie können wir mit Schuldgefühlen richtig umgehen?

Wenn wir einen Freund kurzfristig versetzen oder uns zugeteilte Haushaltstätigkeiten nicht erledigt haben genauso wie in Momenten, in welchen wir jemanden anlügen – dann meldet sich unser schlechtes Gewissen. Aber warum haben wir manchmal mit Schuldgefühlen zu kämpfen? Woher kommen sie und wie können wir sie vermeiden, um nicht auch noch unser seelisches Wohlbefinden zu gefährden?

Schuldgefühle als Reaktion auf ein Fehlverhalten

Im Generellen stehen Schuldgefühle in Verbindung mit der Rechtswissenschaft, denn eine Schuld an sich entsteht dann, „wenn wir ein juristisches, moralisches oder sozial anerkanntes Gesetz brechen“1. Demnach unterliegen wir gewissen gesellschaftlichen Normen, Wert- und Moralvorstellungen, die uns durch das unmittelbare Umfeld anerzogen werden.2 „[B]ei einem Fehlverhalten oder gravierenden Pflichtverletzungen reagiert das Gewissen mit Schuldgefühlen“3, wie die deutsche Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Iris Hauth weiterführend erklärt. Weil ebendiese Emotionen im Allgemeinen als unangenehm wahrgenommen werden, versuchen „wir uns an das Regelwerk in unserer Gruppe [zu] halten“4, so die in Wien tätige Psychologin und Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl. Das bedeutet, dass wir Verabredungen, Termine und Abmachungen einhalten, denn können wir ein Versprechen nicht einlösen oder einer Vereinbarung nicht nachkommen, macht sich eben unser schlechtes Gewissen bemerkbar – „[w]ir verurteilen das eigene Verhalten“5.

Unterschiedliche Ausprägungen

Abhängig davon, welche Werte und Moralvorstellungen in der Kindheit vermittelt bzw. weitergegeben wurden und welche Persönlichkeitsmerkmale vorherrschend sind, leiden manche Menschen mehr, manche weniger unter Schuldgefühlen. So empfinden beispielsweise jene, die eher oberflächlich, selbstbezogen oder gar narzisstisch, skrupel- bzw. gewissenlos sind, weniger Reue bei einem Fehlverhalten als Personen, die sorgfältig, perfektionistisch und verantwortungsbewusst sind.6 Ein bestimmtes Maß an Schuldgefühlen lässt damit auch Rückschlüsse auf die individuellen Charaktereigenschaften der/des Gegenüber zu. Und obwohl ein schlechtes Gewissen Ausdruck von ausgeprägten moralischen Ansichten sowie empathischen Zügen ist, so kann ein Zuviel an Schuldgefühlen die psychische Gesundheit stark belasten.

Wenn das schlechte Gewissen nagt

„Schuldgefühle sind eindeutig zu viel, wenn sie meine Lebensqualität beeinträchtigen und mich ewig lang verfolgen“7, so Kernstock-Redls Erläuterung. Anhaltende Schuldgefühle verursachen nämlich starken Stress, womit nicht nur der Körper, sondern auch die Psyche übermäßig beansprucht wird. Ständiges Grübeln sowie Selbstvorwürfe können letztendlich zu depressiven Verstimmungen führen, die es dann auch zu behandeln gilt, um den Schuldgefühlen auf den Grund zu gehen.8

Starke Schuldgedanken können wiederum auch Symptom von diversen psychischen Erkrankungen sein: Beispielsweise rechtfertigen viele von Depressionen betroffene Menschen die Erkrankung damit, selbst daran schuld zu sein, dass es einem schlecht geht. Auch Personen, die an Traumata leiden, reden sich nicht selten ein, beispielsweise krank, geschlagen oder misshandelt geworden zu sein, weil etwas falsch gemacht wurde. Mit diesem Verhalten soll ein Kausalzusammenhang zwischen den Ereignissen – dem Trauma/der Erkrankung und der anschließenden psychischen Belastung – hergestellt werden: Wiederholen sie bestimmte Handlungen oder Taten nicht mehr auf diese Art und Weise, entstehen auch keine physischen oder psychischen Konsequenzen und infolgedessen auch keine Schuldgedanken.9 Demnach versuchen Betroffene, das erlittene Trauma bzw. die Erkrankung auf das eigene scheinbare Fehlverhalten zurückzuführen, wodurch sie sich selbst nicht als Opfer wahrnehmen, sich stattdessen selbst die Schuld an den körperlichen/psychischen Verletzungen geben. Solche Selbstvorwürfe stehen jedoch in keinem Zusammenhang mit dem gewöhnlichen schlechten Gewissen.

Mit nagenden Schuldgefühlen richtig umgehen

Unabhängig von starken Schuldgefühlen und -gedanken im Zuge von psychischen Belastungen/Erkrankungen kämpfen wir alle hin und wieder mit Gewissensbissen. Damit diese nicht überhandnehmen, uns nicht fortwährend plagen, rät Doris Wolf, Psychologin in Mannheim, Folgendes: „Einen Gedankenstopp einsetzen, statt dich mit Selbstvorwürfen zu geißeln und überlegen, wie man es in Zukunft besser machen oder wieder gutmachen kann. Wir müssen lernen, das Verhalten von unserer Person zu trennen: Wir werden immer Fehler machen, aber sind deshalb keine verurteilenswerten Menschen“10. Auch weitere Tipps können dabei helfen, ein schlechtes Gewissen zu mindern:11

  • Schuldgefühle sind nicht immer angemessen
    Manchmal muss die Frage aufgeworfen werden, woher ein schlechtes Gewissen überhaupt kommt, denn nicht immer sind Selbstvorwürfe auch gerechtfertigt. Zu hohe Erwartungen an sich selbst oder ein zu stark ausgeprägter Perfektionismus könnten Ursache dafür sein, grundlos von Schuldgefühlen geplagt zu werden.
  • Den Fehler eingestehen
    Hat man tatsächlich jemanden gekränkt oder hatte das eigene Handeln Konsequenzen für andere, dann steht im Vordergrund, sich aufrichtig entschuldigen zu können. Damit stellt man sich der eigenen Verantwortung.
  • Wiedergutmachung leisten
    Manche können sich erst von ihrem schlechten Gewissen befreien, wenn der Versuch unternommen wird, das Fehlverhalten zukünftig nicht mehr zu wiederholen bzw. sich im Generellen zu bessern. Hat man beispielsweise eine*n gute*n Freund*in schon des Öfteren versetzt, sollte man sich zukünftig bewusst mehr Zeit für sie/ihn nehmen, um auch Gewissensbisse zu mindern.
  • Loslassen lernen
    Wird man nach längerer Zeit immer noch (ungerechtfertigt) vom schlechen Gewissen aufgrund eines Fehlverhaltens eingeholt, ist es ratsam, sich auf Zukünftiges zu fokussieren. Anhaltende Schuldgefühle führen – wie bereits erwähnt – zu Stress und können in weiterer Folge Depressionen auslösen. Somit steht im Vordergrund, aus Fehlern zu lernen und diese nicht zu wiederholen.
  • Am eigenen Selbstwert arbeiten
    Auch andere Menschen können einem immer wieder ein schlechtes Gewissen einreden. Zwar hilft konstruktive Kritik dabei, aus einem möglichen Fehlverhalten zu lernen, aber grundlose Herabwürdigungen können verunsichern und damit den Selbstwert mindern.12 Somit steht die Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins auch im Vordergrund, um weniger stark auf unbegründete Schuldzuweisungen zu reagieren.

Zusammenfassend angemerkt – es lässt sich schlichtweg nicht vermeiden, sich hin und wieder aufgrund von möglichen Verfehlungen schuldig zu fühlen. Wichtig ist es aber, dass das schlechte Gewissen nicht zunimmt und von langer Dauer ist, denn dann können Schuldgefühle zu einer enormen physischen wie auch seelischen Belastung werden und sogar zur Entstehung von psychischen Erkrankungen beitragen. Erlernt werden muss deswegen ein adäquater Umgang mit diesen Emotionen, da sie immer wieder auftreten werden, weil ein Fehlverhalten im Alltag ab und an der Normalität entspricht. Dann gilt es jedoch, sich dessen bewusst zu werden und daraus zu lernen, um ein erneutes schlechtes Gewissen dahin gehend zu vermeiden. Und auf die Art und Weise kann auch dazu beigetragen werden, das physische wie auch seelische Gleichgewicht zu wahren.

 


1 pro mente Austria: Schuldgefühle. In: erstehilfefuerdieseele.at. Veröffentlicht am 14.11.2020.
URL: https://www.erstehilfefuerdieseele.at/blog/schuldgefuhle/ [Stand: 02.06.2022].

2 Vgl. Tavakoli, Sara: Das schlechte Gewissen ist dein ständiger Begleiter? Was du dagegen tun kannst. In: stern.de. Veröffentlicht am 17.07.2019.
URL: https://www.stern.de/neon/herz/psyche-gesundheit/schlechtes-gewissen–was-du-dagegen-tun-kannst-8794080.html [Stand: 02.06.2022].

3 Welt am Sonntag: „Schuldgefühle sind wie Trauerarbeit“. In: welt.de. Veröffentlicht am 27.03.2016.
URL: https://www.welt.de/print/wams/article153708618/Schuldgefuehle-sind-wie-Trauerarbeit.html [Stand: 02.06.2022].

4 Bruckmoser, Josef: Was Schuldgefühle mit uns machen. In: sn.at. Veröffentlicht am 13.06.2020.
URL: https://www.sn.at/panorama/geist-welt/was-schuldgefuehle-mit-uns-machen-88717570 [Stand: 02.06.2022].

5 Tavakoli, Sara: Das schlechte Gewissen ist dein ständiger Begleiter? Was du dagegen tun kannst.
URL: https://www.stern.de/neon/herz/psyche-gesundheit/schlechtes-gewissen–was-du-dagegen-tun-kannst-8794080.html [Stand: 02.06.2022].

6 Vgl. Welt am Sonntag: „Schuldgefühle sind wie Trauerarbeit“. In: welt.de. Veröffentlicht am 27.03.2016.
URL: https://www.welt.de/print/wams/article153708618/Schuldgefuehle-sind-wie-Trauerarbeit.html [Stand: 02.06.2022].

7 Bruckmoser, Josef: Was Schuldgefühle mit uns machen.
URL: https://www.sn.at/panorama/geist-welt/was-schuldgefuehle-mit-uns-machen-88717570 [Stand: 02.06.2022].

8 Vgl. pro mente Austria: Schuldgefühle. In: erstehilfefuerdieseele.at.
URL: https://www.erstehilfefuerdieseele.at/blog/schuldgefuhle/ [Stand: 02.06.2022].

9 Vgl. Bruckmoser, Josef: Was Schuldgefühle mit uns machen. URL: https://www.sn.at/panorama/geist-welt/was-schuldgefuehle-mit-uns-machen-88717570 [Stand: 02.06.2022].

10 Tavakoli, Sara: Das schlechte Gewissen ist dein ständiger Begleiter? Was du dagegen tun kannst.
URL: https://www.stern.de/neon/herz/psyche-gesundheit/schlechtes-gewissen–was-du-dagegen-tun-kannst-8794080.html [Stand: 02.06.2022].

11 Vgl. Neutsch, Juliane: Schlechtes Gewissen loswerden: Das können Sie tun. In: focus.de. Veröffentlicht am 17.12.2020.
URL: https://praxistipps.focus.de/schlechtes-gewissen-loswerden-das-koennen-sie-tun_127486 [Stand: 02.06.2022].

12 Wie Sie Ihr Selbstbewusstsein stärken können, lesen Sie in unserem Blogbeitrag „Bewusst selbstbewusst“ »» vom 27.04.2022.

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 29.06.2022