Plötzlich arm
Durch die extrem hohe Inflation und die gestiegenen Wohn- und Energiekosten im Land sehen sich immer mehr Österreicher*innen mit einem Thema konfrontiert, das hierzulande nach wie vor als Tabu gilt – finanzielle Not bis hin zu Armut. Wie aber kann es gelingen, dem entgegenzuwirken?
Neue Kleidung kaufen, weil sie gefällt, die Wohnung mit Accessoires ausstatten, regelmäßig Essen bestellen. Und wirklich elementar: Die Wohnkosten begleichen, die Räumlichkeiten heizen, Elektrogeräte mit Strom versorgen – diese Dinge sind für uns kaum wegzudenken, umfassen sie doch die Grundbedürfnisse des Alltages. Ausgeklammert wird dabei, dass es mittlerweile viel zu viele Menschen in Österreich gibt, für welche die finanzielle Bestreitung des Alltages eine große und manchmal auch nicht mehr zu meisternde Herausforderung darstellt.
Finanzieller Notstand in Österreich allgegenwärtig
Denn mittlerweile sind bereits 17,5 % der Bevölkerung im Land (das sind ca. 1,5 Millionen Menschen) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, wie eine im Jahr 2022 durchgeführte Berechnung der Statistik Austria belegt. Tatsächlich von absoluter Armut betroffen gelten mehr als 200.000 Menschen in Österreich, also ca. 2,3 % der Gesamtbevölkerung.1 Und die aktuell extrem hohen Lebenserhaltungskosten – Wohnraum und Lebensmittel – nehmen weiterhin negativen Einfluss auf die eben angeführten Zahlen: 27 % der Österreicher*innen (ca. 2,34 Millionen Menschen) rechnen damit, dass sie in den nächsten Monaten dahin gehend in Zahlungsschwierigkeiten geraten und den finanziellen Belastungen nicht mehr standhalten werden.2
Dieser negative Stress, welcher durch die Frage nach der finanziellen Bestreitung des Alltages ausgelöst wird, belastet auf Dauer enorm: Neben körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Dauermüdigkeit, erhöhtem Blutdruck sowie Magen-Darm-Problemen treten häufig auch psychische Erkrankungen auf. Eine Studie des MIT in den USA belegt, dass Menschen mit niedrigem Einkommen drei Mal häufiger an Depressionen erkranken als finanziell abgesicherte Personen; ebenso sind Angststörungen sowie Schizophrenie bis hin zu Suizid unter einkommensschwachen Menschen stärker verbreitet.4
Ein weiteres Problem – soziale Isolation: Studien zeigten auf, dass Personen, die nur über wenig Geldmittel verfügen, weniger am gesellschaftlichen Leben teilnehmen; die Folge ist ein Mangel an Kontakten bis hin zu Vereinsamung,5 was wiederum die Entwicklung von physischen und psychischen Erkrankungen begünstigt.6
Ansätze zur Armutsprävention
Um den offensichtlichen und latenten Folgen der Armut entgegenzuwirken, gibt es natürlich zahlreiche Strategien und allgemeine Zielformulierungen wie Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, Maßnahmen gegen finanzielle Ausgrenzung, Überschuldung und prekäre Wohnverhältnisse sowie gegen Obdachlosigkeit, Prävention von Kinder- und Familienarmut sowie soziale Integration von armutsgefährdeten Gruppen, was mit einer Reduzierung/Auflösung von diskriminierenden Handlungen einhergeht.7
Diese Maßnahmen zur Eindämmung von Armut scheinen simpel, sind aber angesichts der aktuellen Lage in Österreich – vor allem die hohe Inflation mit enormen Energiekosten und der extrem hohe finanzielle Aufwand für leistbaren Wohnraum – weit davon entfernt, umgesetzt werden zu können. Der österreichische Sozialexperte und Mitbegründer der Armutskonferenz der Schönfärberei, Martin Schenk, erzählt von einer bedrückenden Entwicklung, die nun deutlich spürbar geworden sei: Zwar sei im vergangenen Jahr der große soziale Absturz durch die unterstützenden Maßnahmen der Regierung verhindert worden,8 aber „[d]ie Eindämmung funktioniert nun nicht mehr“9. Zunehmend mehr Menschen – beobachtet werde ein regelrechter Ansturm – würden nun Hilfsvereine sowie Sozialberatungen aufsuchen, weil die finanziellen Mittel nicht mehr ausreichend seien, so Schenk.10
Initiativen und Projekte in der Steiermark gegen Armut
Neben den von Fachleuten und Sozialvereinen offenen Forderungen, vor allem das Arbeitslosengeld sowie die Notstandsunterstützung an die Inflation anzupassen, die Sozialhilfe zu stärken sowie ein Energiearmutsgesetz einzuführen,11 benötigen viele jedoch niederschwellige Hilfe, um zumindest die alltäglichen Grundbedürfnisse (Mittel des täglichen Bedarfs sowie Wohnraum) befriedigen zu können. Hierzu gibt es steiermarkweit mehrere Initiativen bzw. Projekte, die entsprechende unterstützende Maßnahmen anbieten:
- Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs
In diesem Bereich engagieren sich vorwiegend gemeinnützige Vereine und soziale Einrichtungen, die Lebensmittel zu sehr günstigen Preisen an armutsgefährdete bzw. bedürftige Menschen verkaufen. Neben bundeslandweiten Einrichtungen vom Land Steiermark sind dies auch die VinziMärkte, Sozialmärkte von Caritas&Du oder Sozialmärkte von Privatinitiativen.12 - Lebensmittel
Ergänzend dazu setzen sich Team Österreich Tafel, die Projekte FAIR-Teiler sowie Too good to go gegen Lebensmittelverschwendung ein, indem Menschen (in finanziellen Nöten) noch qualitativ hochwertige Produkte preisgünstig bzw. zum Teil unentgeltlich beziehen können. - Secondhand- und Flohmarkt-Ware jeglicher Art
Kleidung, Möbelstücke, Elektrogeräte oder Produkte zur Freizeitgestaltung findet man zu günstigen Preisen in den diversen Secondhand-Shops und Flohmärkten in der Steiermark. Entsprechende Initiativen agieren dabei nicht nur armutspräventiv, sondern auch nachhaltig und ressourcenschonend, indem nicht mehr gebrauchte, aber qualitativ hochwertige Ware weiter-/wiederverwendet wird. Welcher Secondhand-Shop bzw. Flohmarkt in der näheren Umgebung zu finden ist, kann durch eine Internet-Suche abgeklärt werden. Und über den Secondhand-Online-Markt von WIDADO13 – ein Projekt von RepaNet in Kooperation mit mehr als 20 sozialpsychiatrischen Dienstleistungsunternehmen und Einrichtungen österreichweit – können schnell und unkompliziert zahlreiche Produkte des täglichen Bedarfs einfach bestellt werden. - Öffentlicher Nahverkehr und kulturelles Leben
Für Grazer*innen, die über ein geringes Haushaltseinkommen verfügen, stellt die Stadt Graz die SocialCard14 bereit, durch welche Gebühren und Abgaben ermäßigt und die Tarife des öffentlichen Nahverkehrs sowie von Freizeit- und Kultureinrichtungen der Stadt vergünstigt werden. Auch die steirischen Gemeinden bieten im Regelfall eine Art SocialCard für die Bürger*innen an.15
Im Allgemeinen finden armutsgefährdete Personen bzw. von Armut Betroffene diverse Anlaufstellen in der Steiermark, die mit unterstützenden Hilfeleistungen beratend zur Verfügung stehen:
Sozialarbeit Graz – Krisendienst
Telefon: +43 316 872 – 30 43
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag bis 18:00 Uhr, danach rund um die Uhr über die Notrufnummer der Feuerwehr (T: 122)
Sozial- und Pflegetelefon des Landes Steiermark
Telefon: +43 800 20 10 10
Kostenlose Erstauskünfte und Beratungsleistungen in sozialen Fragen beispielsweise zur Schuldenprävention, aber auch Sozial- und Mindestsicherungsberatung
Schuldnerberatung Steiermark (Graz)
Telefon: +43 316 37 25 07
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag zwischen 09:00 und 12:30 Uhr
Arche 38 – Caritas Notschlafstelle, Betreutes Wohnen (Graz)
Telefon: +43 316 80 15 730 (Erreichbarkeit rund um die Uhr)
Anlaufstelle für Menschen in Not; Basisversorgung über kurz- oder mittelfristige Wohnversorgung bis hin zu individuellen Beratungsangeboten
Psychosoziale Dienste
Ein vollständiges Adressverzeichnis aller steirischen psychosozialen Dienste finden Sie unter www.plattformpsyche.at »»
1 Vgl. Frei, Magdalena: 200.000 Menschen in Österreich leben in Armut. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 21.04.2023.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000145753311/200-000-menschen-in-oesterreich-leben-in-armut [Stand: 15.06.2023].
2 Vgl. APA / red: Für immer mehr Menschen in Österreich wird Teuerung zum echten Problem. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 04.05.2023.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000146119698/fuer-immer-mehr-menschen-in-oesterreich-wird-teuerung-zum-echten [Stand: 15.06.2023].
3 Lesen Sie mehr über die Wechselwirkung zwischen Psyche und Armut »» im gleichnamigen Blogbeitrag vom 31.03.2021.
4 Vgl. Zimmermann, Leonie: Wie sich Armut auf die psychische Gesundheit auswirken kann. In: stern.de. Veröffentlicht am 08.01.2023.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/wie-sich-armut-auf-die-psychische-gesundheit-auswirken-kann-32667124.html [Stand: 15.06.2023].
5 Vgl. Zimmermann, Leonie: Wie sich Armut auf die psychische Gesundheit auswirken kann. In: stern.de. Veröffentlicht am 08.01.2023.
URL: https://www.stern.de/gesundheit/wie-sich-armut-auf-die-psychische-gesundheit-auswirken-kann-32667124.html [Stand: 15.06.2023].
6 Vgl. Sokolow, Anja / dpa: Wie Einsamkeit krank machen kann. In: zdf.de. Veröffentlicht am 08.03.2023.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/psychologie-einsamkeit-krankheit-100.html [Stand: 20.06.2023].
7 Vgl. Europäische Kommission: Maßnahmen gegen Armut. In: ec.europa.eu.
URL: https://ec.europa.eu/employment_social/2010againstpoverty/about/tackling_de.htm [Stand: 20.06.2023].
8 Vgl. John, Gerald: Wie arm ist Österreich wirklich? In: derstandard.at. Veröffentlicht am 14.05.2023.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000146387349/wie-arm-ist-oesterreich-wirklich [Stand: 20.06.2023].
9 John, Gerald: Wie arm ist Österreich wirklich?
URL: https://www.derstandard.at/story/2000146387349/wie-arm-ist-oesterreich-wirklich [Stand: 20.06.2023].
10 Vgl. John, Gerald: Wie arm ist Österreich wirklich?
URL: https://www.derstandard.at/story/2000146387349/wie-arm-ist-oesterreich-wirklich [Stand: 20.06.2023].
11 Vgl. Brickner, Irene: Was gegen die zunehmende Armut in Österreich getan werden kann. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 05.05.2023.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000146144892/was-gegen-die-zunehmende-armut-in-oesterreich-getan-werden-kann [Stand: 20.06.2023].
12 Eine Übersicht über verschiedenste Stellen zur Lebensmittelweitergabe finden Sie hier »»
13 Besuchen Sie den Online-Shop WIDADO unter www.widado.com »»
14 Alle Informationen zur SozialCard finden Sie unter www.graz.at »»
15 Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.news.steiermark.at »»
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Veröffentlicht am: 05.07.2023