Lernen fürs Leben … und für die Seele
Ein Leben lang zu lernen, bringt viele Vorteile die geistige Gesundheit betreffend mit sich. Dass anhaltender Wissensdurst auch das psychische Wohlbefinden beeinflusst, ist jedoch weitestgehend unbekannt.
Auf den Listen der guten Vorsätze für das neue Jahr finden sich nicht nur solche, die ein Ablegen von schlechten Gewohnheiten intendieren. Das Lernen einer neuen Sprache oder eines Musikinstrumentes sowie das Weiterbilden auf einem Wissensgebiet, das für einen persönlich noch relativ unbekannt ist, aber interessant erscheint, nehmen sich auch viele vor. Und mit diesem Neujahrsvorsatz befriedigt man nicht nur die individuelle Neugier, sondern auch Bedürfnisse die Psyche betreffend, denn Neues zu lernen bedeutet, auf vielfältige Weise aktiv zu bleiben, und zwar bis ins hohe Alter.
Neue Reize fürs Gehirn
Wissenschaftlich erwiesen ist nämlich, dass das Gehirn bei solchen neuen Lern-Anreizen höchst aktiv ist: Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen in verschiedensten Hirnarealen werden dabei hergestellt, wodurch das neuronale Netz größer und dichter wird.1 Aber was genau bedeutet das? „Die Funktion, […] die liegt darin, dass unser Denken flexibler ist, dass wir in der Lage sind, Informationen besser in Kontexte zu integrieren, vor allen Dingen neue Informationen in vorbestehende Kontexte“2, wie der Professor für Neurowissenschaften an der TU Dresden, Gerd Kempermann, erklärt. Ein dichteres neuronales Netzwerk, wie es durch das Lernen entsteht, nimmt beispielsweise großen Einfluss auf die Anpassungsleistung in neuen, unbekannten Situationen und Umgebungen: Wir bewahren den Durchblick und reagieren schneller auf die gegebenen Umstände.3
Dass mit zunehmendem Alter die Fähigkeit schwindet, das neuronale Netzwerk zu erweitern, ist dabei ein Mythos. Tatsächlich haben Forscher*innen herausgefunden, dass noch im höheren Alter ständig neue Verbindungen im Gehirn entstehen, sobald man sich einer neuen Tätigkeit widmet bzw. den Wissensdurst befriedigt. Und außerdem – wir altern gesünder: Menschen, die sich stets für neue Dinge interessieren und sich für diese begeistern können, bleiben geistig fitter. Studien deuten sogar darauf hin, dass lebenslanges Lernen das Risiko, an Demenz oder Alzheimer zu erkranken, um ca. die Hälfte senken kann und das Leben im Allgemeinen verlängert.4
Neugier aufrechterhalten
Anhaltende Wissbegierde und deren Befriedigung hat aber noch weitere positive Wirkungsweisen, insbesondere auf das psychische Wohlbefinden: „Durch das Interesse an der Umwelt tritt man in ständige Interaktion mit ihr und versucht, sie zu verstehen. Und das beugt der Isolation und in weiterer Folge Einsamkeit vor“, wie Karin Nauschnegg erläutert, Klinische Psychologin und Leiterin der mobilen sozialpsychiatrischen Betreuung von pro mente steiermark. Das Bewahren der Neugier hilft des Weiteren dabei, sich nicht von der Umwelt überfordert zu fühlen und sie als Stressfaktor wahrzunehmen, sondern eher als spannendes Abenteuer. Zusammengefasst – man fühlt sich herausgefordert, aber nicht überfordert, und man ist im Generellen zufriedener.5
Neugierig zu bleiben, lernen zu wollen und sich eine neue Beschäftigung zu suchen, habe auch etwas mit Sinnhaftigkeit und Wohlbefinden zu tun, wie Vivien Hage, Psychologin und Leiterin der sozialpsychiatrischen Tagesstrukturen von pro mente steiermark, ergänzt: „Indem ich mich für etwas interessiere und mir dazu Wissen aneigne – das kann jedes neue Hobby sein, das ich ausüben möchte –, verleihe ich meinem Tun einen Sinn. Und das macht glücklich“, wie sie erklärt.
Außerdem wird das Selbstbewusstsein gesteigert und bewahrt, wenn Wissen auf mehreren Gebieten besteht: „Zum einen kann ich bei bestimmten Themen mitdiskutieren, einfach weil ich darüber informiert bin. Dadurch entsteht gleichzeitig ein Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl, wenn ich mich in einer Gruppe austauschen kann“, so Philipp Landgraf, Klinischer Psychologe und Leitung des teilzeitbetreuten Wohnens bei pro mente steiermark. „Zum anderen verschafft mir das Verstehen meiner direkten Umwelt eine gewisse Art von Unabhängigkeit. Können nämlich Probleme im Alltag selbstständig bewältigt werden, ist man dabei nicht andauernd auf andere angewiesen“, wie Landgraf näher ausführt.
Lernen für das seelische Wohlbefinden
Wie nehmen nun Neugier, Wissbegierde und der Lerndrang ganz konkret Einfluss auf die Psyche bzw. die psychische Gesundheit? Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein gleichbleibendes Niveau an Neugier und Interesse an der Umwelt unmittelbar auf den Gemütszustand wirkt und man grundsätzlich fröhlicher ist. Schwankt Wissbegierde allerdings stark, sind Menschen anfälliger dafür, Depressionen zu entwickeln. Hat man beispielsweise einen eher ‚schlechten‘ Tag, ist das Interesse an der Umwelt und an den Mitmenschen eingeschränkt, wodurch die Chance schwindet, mittels Neugier die Stimmungslage zu heben.6 Denn dass Lernen und Wissbegierde im Allgemeinen glücklich machen, erklären Forscher*innen mit dem ‚Belohnungszentrum‘ des Gehirns: Wollen wir uns Wissen auf einem bestimmten Gebiet aneignen, werden in unserem Gehirn noch vor bzw. während der Wissensaneignung dieselben Areale aktiviert, die auch beispielsweise beim Verzehr von Schokolade oder bei der Aussicht auf einen Geldgewinn stimuliert werden – das Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet.7
Nicht zuletzt hilft Wissbegierde bei der Bekämpfung von psychischen Erkrankungen: „Das Stichwort lautet Psychoedukation“, so Hage. „Will ich mehr über meine Krankheit wissen und bringe ich in Erfahrung, wodurch sie sich kennzeichnet, lerne ich automatisch, besser mit ihr umzugehen und sie anzunehmen. Und das kann die Symptome einer psychischen Krankheit wie Depression oder Angststörung massiv lindern“, so ihre Erklärung.
Neugierig bleiben, die Umwelt verstehen wollen, Wissen aneignen – erhalten wir uns gemäß den Ausführungen unser Interesse an der Umwelt und sind wir darin bestrebt, uns unaufhörlich Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten anzueignen, schulen wir unser Gehirn fortwährend und sorgen vor allem dafür, das psychische Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Deswegen sind Neujahrsvorsätze, welche vor allem den Ausbau von Wissen intendieren, in jeglicher Hinsicht gewinnbringend und gesundheitsfördernd.
1 Vgl. ARD Alpha: Wie lernt das Gehirn? In: ardalpha.de. Veröffentlicht am 05.12.2018.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/gehirn-gedaechtnis-lernen-neuronen-netz-hirnforschung-100.html [Stand: 21.12.2023].
2 ARD Alpha: Wie lernt das Gehirn?
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/gehirn-gedaechtnis-lernen-neuronen-netz-hirnforschung-100.html [Stand: 21.12.2023].
3 Vgl. ARD Alpha: Wie lernt das Gehirn?
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/gehirn-gedaechtnis-lernen-neuronen-netz-hirnforschung-100.html [Stand: 21.12.2023].
4 Vgl. Eberle, Ute: Leseprobe: Die Macht der Neugier. In: geo.de. Veröffentlicht im 09.2015.
URL: https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/718-rtkl-neurowissenschaft-leseprobe-die-macht-der-neugier [Stand: 21.12.2023].
5 Vgl. Eberle, Ute: Leseprobe: Die Macht der Neugier.
URL: https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/718-rtkl-neurowissenschaft-leseprobe-die-macht-der-neugier [Stand: 21.12.2023].
6 Vgl. Saum-Aldehoff, Thomas: Mit Neugier gegen Trübsal. In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 08.02.2020.
URL: https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/40312-mit-neugier-gegen-truebsal.html [Stand: 21.12.2023].
7 Vgl. Eberle, Ute: Leseprobe: Die Macht der Neugier.
URL: https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/718-rtkl-neurowissenschaft-leseprobe-die-macht-der-neugier [Stand: 21.12.2023].
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Veröffentlicht am: 10.01.2024