Körper, Psyche, Lebenswelt – das biopsychosoziale Modell
Nicht immer geben körperliche Symptome Aufschluss darüber, welche (psychische) Erkrankung tatsächlich besteht und wie sie weiterführend behandelt werden muss. Erst eine Fokussierung auf das Ganzheitliche kann dahin gehend für Klarheit sorgen.
Wir alle können den Gesundheits- und Krankheitsbegriff relativ schnell erklären: Gesund sind wir dann, wenn wir körperlich und psychisch fit und frei von Krankheit sind; umgekehrt gilt – wenn wir uns nicht wohlfühlen oder eine körperliche oder psychische Erkrankung diagnostiziert wurde, bezeichnen wir uns als krank. Diese Definitionen basieren auf einem traditionellen und ausschließlich biomedizinisch orientierten Gesundheits- und Krankheitsverständnis, welches jedoch als veraltet gilt. Ein in den 1970er Jahren entwickeltes Modell zieht nämlich noch eine weitere Entität neben der körperlichen und psychischen hinzu, und zwar eine soziokulturelle Einflussgröße.1 Das daraus entstandene sogenannte biopsychosoziale Modell gilt heutzutage als bedeutendstes Modell, um die vielfältigen Mechanismen hinter dem Gesundheits- und Krankheitsbegriff umfassender nachvollziehen zu können.2
Aber warum braucht es diese dritte, soziokulturelle Komponente überhaupt? „[…] [D]er Kranke wird nicht nur als reparaturbedürftiger Organismus, sondern auch mit seinem individuellen Denken, Fühlen und Handeln innerhalb seiner individuellen Lebensumwelt wahrgenommen“3, erklärt der Grazer Verhaltensmediziner Josef Egger. Das Modell verbinde „empirische Forschungsergebnisse […] mit psychologischen und ökosozialen Wirkfaktoren“4, wie er näher ausführt. Gemäß dem Modell entstehen Gesundheit und Krankheit also nicht einzig und alleine aus physischen Fehlfunktionen und psychischen Einflüssen, sondern vielmehr aus dem Zusammenspiel von Körper, Psyche und sozialem Umfeld.5
3 Ebenen als Krankheitsursachen
Die biologische Ebene umfasst dabei alle Aspekte den Körper – also die organischen Funktionen – betreffend. Krankheit ergibt sich auf dieser Ebene beispielsweise durch Krankheitserreger, die zu einer Infektion führen, oder durch einen Unfall, aus dem eine Verletzung resultiert; Gesundheit entsteht in diesem Kontext wiederum beispielsweise durch eine trainierte Muskulatur.6 Auf der psychischen Ebene betrachtet man das seelische Wohlbefinden sowie das Denken, Fühlen und Handeln einer Person genauer. So können hier zum Beispiel Stress oder Gefühle wie Angst und Trauer zum Entwickeln einer Krankheit beitragen, während beispielsweise eine optimistische Lebenseinstellung langfristige Gesundheit begünstigen kann. Und auf der sozialen Ebene wird näher auf das spezifische Lebensumfeld bzw. die Lebensbedingungen einer Person eingegangen. Belastende Faktoren können unter anderem auf schwierige arbeitsspezifische Umstände zurückgeführt werden, während Aspekte wie ein intakter Familien- oder Freundeskreis günstig auf die Gesundheit wirken. Für die Entwicklung von komplexeren Krankheiten wird demgemäß ein genauerer Blick auf all diese Ebenen geworfen, da sich gesundheitliche Probleme aus jedem dieser Faktoren heraus ergeben können.7
Anwendungsbereiche und Grenzen
Vor allem hinsichtlich der Ursache bzw. weiterführenden Behandlung von entsprechenden Krankheiten (zum Beispiel von chronischen Schmerzen oder psychischen Erkrankungen) wird das biopsychosoziale Modell herangezogen, um all diese Ebenen im Hinblick auf die Risikofaktoren zu untersuchen. Eruiert werde, in welchem Bereich zu wenige Ressourcen für die Aufrechterhaltung der (psychischen) Gesundheit vorhanden seien, um ebendiese zu stärken und so bestenfalls zu genesen, erklärt Vivien Hage, Psychologin und Leitung der sozialpsychiatrischen Tagesstrukturen bei pro mente steiermark: „Außerdem lassen sich beispielsweise zu wenig Ressourcen auf psychischer Ebene durch ausreichend Schutzmöglichkeiten in den anderen beiden Bereichen besser kompensieren“, wie sie näher ausführt.
Sie betont jedoch, dass „das Modell – wie auch andere – nicht als allumfassende Theorie betrachtet werden darf“, also niemals wirklich alle Aspekte entlarvt und berücksichtigt werden können, die Aufschluss über Krankheiten geben könnten. „Dennoch hilft das biopsychosoziale Modell auf relativ gute, einfache Art und Weise dabei, zu erklären und zu verstehen, was alles zusammenspielt, wenn wir von Gesundheit und Krankheit sprechen“, sagt Hage.
Somit müssen der Gesundheits- und Krankheitsbegriff hinsichtlich der Definition erweitert werden: Gesund sind wir gemäß dem biopsychosozialen Modell dann, wenn wir körperlich fit, seelisch ausgeglichen sowie in ein funktionierendes (soziales) System eingebettet sind; und krank sind wir dann, wenn eben all diese Faktoren nicht gegeben sind. Es lohnt sich also immer, alle 3 Ebenen – die körperlich, die psychische und auch die soziokulturelle – zu betrachten, um fehlende Ressourcen in manchen Bereichen zu kompensieren bzw. diese aufzubauen, damit langfristig allumfassende Gesundheit gewährleistet werden kann.
1 Vgl. Egger, Josef: Das biopsychosoziale Modell. In: saez.swisshealthweb.ch. Veröffentlicht am 29.08.2018.
URL: https://saez.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2018.06861/ [Stand: 25.07.2024] und
vgl. R.Kl.: biopsychosoziales Krankheitsmodell. Lexikon. In: spektrum.de.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/biopsychosoziales-krankheitsmodell/2454 [Stand: 25.07.2024].
2 Vgl. Egger, Josef: Das biopsychosoziale Krankheitsmodell. In: researchgate.net.
URL: https://www.researchgate.net/publication/327299581_Das_biopsychosoziale_Modell [Stand: 25.07.2024].
3 Österreichische Ärztezeitung: Interview Josef W. Egger: Arzt als Begleiter. In: aerztezeitung.at. Veröffentlicht am 16.08.2022.
URL: https://aerztezeitung.at/2022/oaz-artikel/medizin/interview-josef-w-egger-arzt-als-begleiter/ [Stand: 25.07.2024].
4 Österreichische Ärztezeitung: Interview Josef W. Egger: Arzt als Begleiter.
URL: https://aerztezeitung.at/2022/oaz-artikel/medizin/interview-josef-w-egger-arzt-als-begleiter/ [Stand: 25.07.2024].
5 Vgl. Stiftung Gesundheitswissen: Was ist das biopsychosoziale Modell? In: stiftung-gesundheitswissen.de.
URL: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/mediathek/videos/kompetenz-gesundheit/was-ist-das-biopsychosoziale-modell [Stand: 25.07.2024].
6 Vgl. Egger, Josef: Das biopsychosoziale Krankheitsmodell.
URL: https://www.researchgate.net/publication/327299581_Das_biopsychosoziale_Modell [Stand: 25.07.2024] und
vgl. Stiftung Gesundheitswissen: Was ist das biopsychosoziale Modell?
URL: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/mediathek/videos/kompetenz-gesundheit/was-ist-das-biopsychosoziale-modell [Stand: 25.07.2024].
7 Vgl. Egger, Josef: Das biopsychosoziale Krankheitsmodell.
URL: https://www.researchgate.net/publication/327299581_Das_biopsychosoziale_Modell [Stand: 25.07.2024].
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Veröffentlicht am: 31.07.2024