Ich bin dankbar für …
Das der Positiven Psychologie zuordenbare Konzept der Dankbarkeit mutet auf den ersten Blick spirituell an, doch bei regelmäßiger Anwendung diverser Techniken werden Körper und Psyche messbar positiv beeinflusst.
Schon in wenigen Tagen entzünden wir die erste Kerze am Adventkranz und starten damit in die Weihnachtszeit. Die Vorbereitungen für Heiligabend laufen sodann auf Hochtouren, und ehe wir es uns versehen, verbringen wir die Feiertage mit den Liebsten und rutschen mit ihnen in das neue Jahr. Viele nutzen diese Zeit auch dafür, das Jahr Revue passieren zu lassen; mit einem Schmunzeln auf so viele schöne Momente und aufregende Abenteuer zurückzublicken, aber auch auf Herausforderungen, die es zu bewältigen galt. Manche erwischen sich jedoch dabei, trotz der vielen positiven Erlebnisse die negativen zu fokussieren. „Wir alle haben evolutionär eine solche Aufmerksamkeit auf das Negative, eine Defizitbrille“1, sagt Dirk Lehr, Professor für Gesundheitspsychologie und Angewandte Biologische Psychologie an der Leuphana Universität Lüneburg. So treten zahlreiche Glücksmomente in den Hintergrund, während (überstandene) Krisen, Hürden und Belastungssituationen zu viel Gewicht bekommen. Dabei lohnt sich ein Perspektivenwechsel und das Praktizieren eines Ansatzes aus der Positiven Psychologie, nämlich Dankbarkeit.
Vielen Dank für …
Diese vermeintlich spirituelle Methodik klammert nicht alles ‚Schlechte‘ komplett aus, wie zunächst angenommen werden könnte, denn „selbstverständlich [hat] auch Negatives seinen Platz“2, betont der britische Dankbarkeitsforscher Alex Wood. Jedoch führe eine stärkere Beachtung der positiven Erlebnisse „zu einem ganzheitlicheren Bild der Wirklichkeit“3, sagt Wood – der Alltag beinhaltet zwar Negatives, besteht aber auch aus vielen schönen Aspekten. Und mit verschiedenen Dankbarkeitstechniken gelingt es, „die glücklichen Momente zu bemerken, sie zu schätzen und größer zu machen, auch wenn sie anfangs noch so klein sind“4, erklärt Lehr.
Körperlich wohltuende Dankbarkeit
Was man anfänglich nicht vermuten würde – Dankbarkeit nimmt großen gesundheitsförderlichen Einfluss auf Körper und Psyche. Zunächst scheint Dankbarkeit eine wohltuende Wirkung auf die Herzgesundheit zu haben: Regelmäßige Dankbarkeitsübungen können gemäß Untersuchungen den Blutdruck um 25 % senken und zudem die körperliche Verfassung von Menschen mit vorhandener Herzschwäche verbessern.5 Eine umfassende Studie mit ca. 50.000 Proband*innen kam außerdem zu dem Ergebnis, dass stark ausgeprägte Dankbarkeit die Wahrscheinlichkeit senkt, innerhalb der nächsten drei Jahre zu sterben.6 Dies könnte mit dem Umstand zusammenhängen, dass Dankbarkeitstechniken ein probates Mittel darstellen, um negative Gedanken zu stoppen und Sorgen zu reduzieren.7 Geraden dieses „Grübeln und Sorgen [sind] die Art von Gedanken, die unseren Organismus ständig stressen“8, wie Lehr erklärt. „Wenn wir gestresst sind, schlafen wir wiederum schlechter. Außerdem wissen wir, dass Stress unser Herz und unseren Kreislauf belastet“9, führt Lehr weiter aus. Durch praktizierte Dankbarkeit werden also kreisende Gedanken sowie Sorgen gemindert, was zu einer Senkung des Stresslevels führt, in weiterer Folge die körperliche Gesundheit fördert.
Dankbarkeitstechniken unterstützen aber nicht nur das körperliche Wohlbefinden – auch die Psyche profitiert von entsprechenden Methoden: Neben der bereits erwähnten Stressreduktion kamen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Dankbarkeitsübungen das Glücksniveau um 25 % heben und sich damit auch Symptome einer leichten bis mittelschweren Depression reduzieren lassen.10 Durch das Wahrnehmen und den Blick auf Positives führt Dankbarkeit nämlich erwiesenermaßen zu mehr Optimismus, was wiederum die Lebensfreude steigert: „Das bedeutet, dass ich mich nicht ständig damit beschäftige, welche Defizite ich habe, was noch nicht fertig ist, was unzulänglich ist, was ich mir anders wünsche oder wo ich unzufrieden bin. Das sind schließlich Gedanken, die mich unglücklich machen“11, erklärt Lehr. Dankbarkeit fokussiert vielmehr das, was bereits gelungen ist und was Freude bereitet.
Danke, dass du …
Zudem stärkt gelebte Dankbarkeit die Beziehung zu anderen, und häufig sind wir auch für unsere Mitmenschen und deren Handlungen dankbar: Jemand tut uns beispielsweise etwas Gutes, indem diese Person für uns in schwierigen Zeiten da ist, oder wir blicken auf wunderbare Momente – beispielsweise auf einen bestimmten Urlaub – mit dieser Person zurück. Somit fühlen wir uns ihr auf positive Art und Weise verbunden, was wiederum unser Glücksempfinden steigert.12
Zwanghaft dankbar?
Wie jedoch schon eingangs erwähnt wurde, muss auch negativen Gedanken und Gefühlen Platz eingeräumt werden. Dankbarkeitstechniken sollten beispielsweise nicht ohne professionelle Unterstützung ausgeübt werden, wenn psychische Probleme oder Erkrankungen vorliegen: So könnten sich bei Menschen mit Depressionen die Symptome verschlimmern, wenn sie deren Fokus auf Positives richten ‚müssen‘, aber durch die Erkrankung dazu einfach nicht in der Lage sind. Dadurch kann sich schnell ein Gefühl des Scheiterns einstellen. Außerdem – akute Schicksalsschläge oder Traumata lösen negative Emotionen aus, die erlebt werden müssen, um sie zu verarbeiten. Zu einem späteren Zeitpunkt können Dankbarkeitstechniken durchaus hilfreich sein, wenn es darum geht, den Blick wieder auf Positives zu lenken, aber in der momentanen Situation können solche Übungen eher als zynisch betrachtet werden, da sie dem einschneidenden Lebensereignis einfach nicht gerecht werden.13
Positives dem Alltag hinzufügen
Im Generellen gilt jedoch, dass eine stärkere Wahrnehmung von schönen Ereignissen im hektischen Alltag jedenfalls zielführend ist, um die körperliche und psychische Gesundheit zu fördern. Dazu gibt es in der Psychologie mehrere Strategien:14
- Abwärtsvergleich
Unzufrieden sind wir häufig, weil wir uns mit anderen vergleichen und auf deren Glück – beispielsweise auf die Beförderung, auf die Partnerschaft oder auf materielle Gegebenheiten – neidisch sind. Sich in solchen Situationen jedoch mal mit jemandem zu vergleichen, dem es augenscheinlich nicht so gut wie uns selbst geht, lenkt den Fokus darauf, was man bereits hat und wofür man dankbar sein kann. - Kontrafaktisches Denken
Wir vergleichen nicht nur gerne, wir beklagen uns auch oft darüber, was nicht so funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt bzw. gewünscht haben. Anstatt sich aber beispielsweise darüber zu ärgern, dass man morgens verschlafen hat und deswegen kaum noch Vorbereitungszeit für einen wichtigen Termin aufbringen konnte, sollten wir stattdessen daran denken, dass wir das Meeting mit Sicherheit versäumt hätten, wenn wir zusätzlich noch im Stau gestanden wären. Es hätte also schlimmer kommen können; und sich dies vor Augen zu führen, steigert unsere Dankbarkeit, weil wir eben ‚nur‘ verschlafen haben. - Mentales Subtrahieren
Bei dieser Strategie geht es darum, sich vorzustellen, wie die derzeitige Situation aussehen würde, wenn ein gewisser Aspekt nicht vorhanden wäre. Beispielsweise ärgern wir uns über unsere Freundin, die eine gemeinsame Verabredung vergessen oder abgesagt hat. Doch sich sodann zu fragen, wie das Leben eben ohne diese Freundin aussehen würde, lässt uns dann doch wieder Dankbarkeit und Wertschätzung für sie verspüren.
Neben diesen Methoden, negative Gedanken zu unterbinden und Dankbarkeit zu empfinden, gelten weitere Techniken als bewährte Mittel, um die Sichtweise auf Positives zu lenken. Eine der bekanntesten Übungen ist das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs: Täglich am Abend darüber nachzudenken, wofür wir an diesem Tag dankbar waren – das können schon kleine Dinge wie das köstliche Mittagessen, ein unterhaltsamer Film oder nette Worte von einem Kollegen sein –, und zwei oder drei dieser positiven Erlebnisse schriftlich festzuhalten, fördert positive Emotionen. Auch ein Dankbarkeits-Fotoalbum hat diesen Effekt: Alltägliche Dinge, die besonders gefallen, werden fotografiert, womit ihnen mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. Beim Ansehen dieser Fotos erinnern wir uns sodann an die positiven Gefühle und fördern so Dankbarkeit. Empfohlen wird des Weiteren, mehr über Positives zu sprechen, anstatt uns vorwiegend zu beklagen oder über Ärgernisse ausschweifend zu berichten: Indem wir von den schönen Momenten, die im Tagebuch oder Fotoalbum verewigt sind, reden, lenken wir unsere Wahrnehmung wieder hin zu den positiven Alltagserlebnissen. Und nicht zuletzt: Wenn wir unsere Dankbarkeit anderen Menschen gegenüber für die Dinge, die sie für uns getan haben, zum Ausdruck bringen, fördern wir nicht nur unser Wohlbefinden, sondern auch jenes des Gegenübers.15
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass Dankbarkeit auf die körperliche und psychische Gesundheit nachweislich wohltuend wirkt, wenn sie aktiv praktiziert und in den Alltag eingebaut wird. Zwar ist von einer übertriebenen Form der Ausführung von Dankbarkeitsübungen abzusehen, vor allem dann, wenn sie aufgrund von belastenden Situationen oder Erkrankungen als unangebracht empfunden werden, aber im Allgemeinen ist festzuhalten: Mehr Dankbarkeit im Alltag verhilft dazu, die von Lehr angeführte ‚Defizitbrille‘ abzulegen und speziell die schönen Momente des Alltages wieder intensiver wahrzunehmen und zu schätzen. Beim Jahresrückblick lassen sich sodann auch viele kleine und große Glücksmomente ausmachen.
1 Maeck, Stefanie: Dankmuskel bitte anspannen. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 26.12.2016.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dankbarkeit-die-wurzel-fuer-gesundheit-und-wohlbefinden-a-1124119.html [Stand: 12.11.2024].
2 Maeck, Stefanie: Dankmuskel bitte anspannen.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dankbarkeit-die-wurzel-fuer-gesundheit-und-wohlbefinden-a-1124119.html [Stand: 12.11.2024].
3 Maeck, Stefanie: Dankmuskel bitte anspannen.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dankbarkeit-die-wurzel-fuer-gesundheit-und-wohlbefinden-a-1124119.html [Stand: 12.11.2024].
4 AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert. In: aok.de. Veröffentlicht am 19.11.2021.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
5 Vgl. Maeck, Stefanie: Dankmuskel bitte anspannen.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dankbarkeit-die-wurzel-fuer-gesundheit-und-wohlbefinden-a-1124119.html [Stand: 12.11.2024].
6 Vgl. Oostland, Desireé: Wer dankbar ist, lebt möglicherweise länger. In: welt.de. Veröffentlicht am 05.08.2024.
URL: https://www.welt.de/kmpkt/article252767888/Psychologie-Wer-dankbar-ist-lebt-moeglicherweise-laenger.html [Stand: 12.11.2024].
7 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
8 AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
9 AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
10 Vgl. Maeck, Stefanie: Dankmuskel bitte anspannen.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/dankbarkeit-die-wurzel-fuer-gesundheit-und-wohlbefinden-a-1124119.html [Stand: 12.11.2024].
11 AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
12 Vgl. Roth, Tina: Dankbarkeit durch Achtsamkeit ist gut für die Seele. In: ndr.de. Veröffentlicht am 07.02.2024.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Dankbarkeit-durch-Achtsamkeit-ist-gut-fuer-die-Seele,dankbarkeit112.html [Stand: 12.11.2024].
13 Vgl. Roth, Tina: Dankbarkeit durch Achtsamkeit ist gut für die Seele.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Dankbarkeit-durch-Achtsamkeit-ist-gut-fuer-die-Seele,dankbarkeit112.html [Stand: 12.11.2024].
14 NLP-Zentrum Berlin: Die Kraft der Dankbarkeit. In: nlp-zentrum-berlin.de. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://nlp-zentrum-berlin.de/infothek/nlp-psychologie-blog/item/dankbarkeit-positive-psychologie [Stand. 12.11.2024].
15 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Mit Dankbarkeit zu mehr Selbstwert.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/achtsamkeit/selbstwertgefuehl-steigern-durch-dankbarkeit/ [Stand: 12.11.2024].
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Veröffentlicht am: 27.11.2024