Gefährlicher Kaufrausch
Wenn das Einkaufen nicht mehr der Notwendigkeit entspricht, sondern Frustkäufe zur Gewohnheit werden, Fixpunkte in der Tagesordnung darstellen und außerdem dazu führen, wichtige Lebensbereiche zu vernachlässigen, muss von einem Abhängigkeitsverhalten ausgegangen werden.
Wir betreten ein Bekleidungsgeschäft oder einen Elektromarkt, kaufen dies und das, schlagen dabei manchmal ebenso über die Stränge, freuen uns jedoch über die erworbenen Gegenstände. Ein Umstand, den jede*r von uns kennt. Und manchmal genießen wir einen solchen Kaufrausch auch sehr. Aber wann wird dieses Konsumverhalten gefährlich?
Im zwanghaften Konsumrausch
Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Anton Tölk weiß, wann das Einkaufen einem Suchtverhalten zuzuordnen ist: „Sucht beginnt dort, wo der Genuss aufhört. Wo Schuldgefühle über das Verhalten ins Spiel kommen. Und Sucht beginnt vor allem dort, wo die Kontrolle aufhört“1. Natürlich kennen viele das Phänomen des ‚Frustkaufes‘: Man kauft Dinge, um Probleme des Alltages auszublenden. Gefährlich wird dies dann, wenn sich die Gedanken nur noch um den Akt des Einkaufens drehen und das ‚Shoppen‘ zur Gewohnheit bzw. zum Zwang wird. Bei der Kaufsucht geht es nicht primär um die erworbenen Artikel selbst (obwohl es hier wie bei allen anderen Süchten auch bestimmte Vorlieben gibt), sondern um die Befriedigung, die der Kauf verspricht. Der ‚Rausch‘ lässt dabei nach Bezahlung der Ware nach, weswegen die Produkte auch kurz darauf ihren Reiz verlieren, zum Teil nicht ausgepackt oder sogar unbenutzt wieder weggeworfen werden.2
Ausgegangen wird davon, dass in Österreich etwa ein Viertel der Bevölkerung bereits als kaufsuchtgefährdet gilt, also hin und wieder zur Entspannung oder als Belohnung einkauft, manchmal auch einen Kontrollverlust erlebt und das Shoppen im Generellen als beliebtes und häufig ausgeführtes Hobby gesehen wird. Insgesamt leiden ca. 11 % der Österreicher*innen tatsächlich an der Kaufsucht, wobei fast 70 % der Betroffenen Frauen sind.3 Vor allem sind es Kleidung, Schuhe, Schmuck, Kosmetika, Unmengen an Lebensmitteln, die gehortet werden, und Bücher, die betroffene Frauen im Zuge der Abhängigkeit erwerben, während sich Männer vorwiegend technische und modische Accessoires sowie Elektro- und Sportgeräte anschaffen.4
Im Generellen kann die Erkrankung nur schwer als solche erkannt werden, was auch mit den gesellschaftlich-kulturellen Gegebenheiten zusammenhängt: Neben der Tatsache, dass jede*r Besorgungen machen muss, um den Alltag zu bestreiten, gilt das Einkaufen als anerkannt und ebenso erwünscht, um wirtschaftliche Prozesse aufrechtzuerhalten bzw. anzukurbeln. Somit ist auch ein Suchtverhalten nur sehr schwer von Betroffenen wie auch von Angehörigen auszumachen, was in weiterer Folge häufig zu einer hohen Verschuldung bis hin zum finanziellen Ruin führen kann.5
Wann kommt es zu einem Suchtverhalten das Einkaufen betreffend?
Betroffene leiden aus bestimmten Motiven an der Kaufsucht – sie versuchen damit, Probleme zu kompensieren: „Bei einer Kaufsucht ist das oft mangelndes Selbstwertgefühl“6, wie Tölk erklärt. „[…] innere Leere, Gefühle der Überforderung, Partnerschaftsprobleme, Partnerlosigkeit können in die Sucht führen“7, so seine weitere Ergänzung. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen, andere Süchte wie Spiel- oder Internetsucht sowie Alkoholabhängigkeit genauso wie eine Ess- oder Persönlichkeitsstörung können die Kaufsucht begünstigen, da sie als Ventil dafür dient, grundlegende Probleme dahin gehend zu bewältigen bzw. zu verdrängen.8
Einsicht als Voraussetzung für die erfolgreiche Bekämpfung der Abhängigkeit
Deswegen ist es umso wichtiger, das eigene Kaufverhalten zu reflektieren und dieses als Problemlösungsmechanismus zu hinterfragen genauso wie eventuelle Bedenken und Sorgen der Vertrauten ernst zu nehmen, um das Suchtrisiko zu verringern bzw. eine bereits bestehende Abhängigkeit zu erkennen. Ist der Kaufwunsch stark ausgeprägt und kann ihm kaum widerstanden werden? Muss immer häufiger gekauft werden, obwohl dies bereits Auswirkungen auf finanzielle oder zwischenmenschle Aspekte hat? Treten Entzugserscheinungen wie innere Unruhe, Konzentrationsprobleme oder Gereiztheit auf?9 Denn spätestens dann muss sich die/der Betroffene dringend Hilfe suchen.
Dem Ursprungsproblem auf den Grund gehen, das Verhalten ändern
Psychiater*innen, Psychotherapeut*innen sowie klinische Psycholog*innen haben dabei bestimmte Herangehensweisen zur Bekämpfung bzw. vollständigen Heilung der Sucht, jedoch erfordert die Behandlung auch den unbedingten Willen der/des Patient*in. Im Vordergrund steht dabei, ursächliche Probleme bzw. Erkrankungen zu identifizieren, um in weiterer Folge die Kaufsucht als sekundäre Störung zu bekämpfen. Hier erweist sich vor allem die Verhaltenstherapie als erfolgversprechend, denn im Zuge dessen sollen Betroffene lernen, mit nicht schädlichen Tätigkeiten Krisen oder Krankheiten zu bewältigen. Unpassende Gedanken und Gefühle in Bezug auf das Einkaufen an sich wie beispielsweise die unbedingte ‚Schnäppchenjagd‘ werden von der Aktivität des Einkaufens getrennt, stattdessen Strategien zur Lösung von Problemen, Krisen bzw. zur adäquaten Auseinandersetzung mit der diagnostizierten primären psychischen Erkrankung erarbeitet.10 Gemäß Tölk ist es von äußerster Wichtigkeit, „herauszufinden, was einem gut tut und was nicht“11. Hier haben sich (präventive) Rituale als wirkungsvolle Methoden erwiesen, um gegen die Sucht anzukämpfen/vorzugehen, da mit ihnen Strukturen und Fixpunkte im Tagesverlauf geschaffen und gleichzeitig Grenzen gesetzt werden. Auch mit einer ausgewogenen und erfüllenden Alltagsgestaltung können Problemstellungen besser kompensiert bzw. gelöst werden.12
In jedem Fall ist es äußerst wichtig, ein zu ausschweifendes Kaufverhalten zu erkennen und dem entgegenzusteuern, damit es erst gar nicht zu einer Sucht kommt. Dabei sollte auch der Frage nachgegangen werden, welcher psychisch belastende Umstand damit ausgeglichen werden möchte. Wird man von Angehörigen, Freund*innen bzw. Vertrauten bereits darauf hingewiesen, dass das Kaufverhalten schädliche Formen angenommen hat, indem beispielsweise finanzielle Nöte größer werden, das soziale Netzwerk vernachlässigt wird oder thematisch nichts mehr wichtiger erscheint als der nächste Einkaufsbummel, muss schleunigst Hilfe in Anspruch genommen werden. Im Zuge einer Therapie kann nämlich das ursächliche Problem gelöst und die Kaufsucht behandelt werden.
1 Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch. In: medizinpopulaer.at.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
2 Vgl. Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022] und
vgl. Carrasco, Inés: Kaufsucht. In: planet-wissen.de. Veröffentlicht am 19.03.2020.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/konsum/pwiekaufsucht100.html [Stand: 01.08.2022].
3 Vgl. Fleischer, Marie-Thérèse: Kaufsucht: Wenn Shoppen zum Problem wird. In: minimed.at. Aktualisiert am 15.10.2020.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/kaufsucht/ [Stand: 01.08.2022] und
vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Kaufsucht. Aktualisiert am 15.01.2018.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html [Stand: 01.08.2022].
4 Vgl. Carrasco, Inés: Kaufsucht. In: planet-wissen.de. Veröffentlicht am 19.03.2020.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/konsum/pwiekaufsucht100.html [Stand: 01.08.2022].
5 Vgl. Carrasco, Inés: Kaufsucht. In: planet-wissen.de. Veröffentlicht am 19.03.2020.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/konsum/pwiekaufsucht100.html [Stand: 01.08.2022] und
vgl. Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
6 Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
7 Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
8 Vgl. Fleischer, Marie-Thérèse: Kaufsucht: Wenn Shoppen zum Problem wird.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/kaufsucht/ [Stand: 01.08.2022] und
vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Kaufsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html [Stand: 01.08.2022].
9 Vgl. Fleischer, Marie-Thérèse: Kaufsucht: Wenn Shoppen zum Problem wird.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/kaufsucht/ [Stand: 01.08.2022] und
vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Kaufsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html [Stand: 01.08.2022].
10 Vgl. Fleischer, Marie-Thérèse: Kaufsucht: Wenn Shoppen zum Problem wird.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/psyche/kaufsucht/ [Stand: 01.08.2022] und
vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Kaufsucht.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/kaufsucht.html [Stand: 01.08.2022].
11 Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
12 Vgl. Kirschbichler, Karin: Kaufsucht: Gefangen im Konsumrausch.
URL: https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/kaufsucht-gefangen-im-konsumrausch.html [Stand. 01.08.2022].
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Veröffentlicht am: 28.09.2022