Freudlos durchs Leben – Anhedonie

 

Wenn im Alltag nichts mehr Freude bereitet, besteht dringender Handlungsbedarf, denn dahinter könnte sich eine physische Ursache oder sogar eine ernste psychische Erkrankung verbergen.

Im letzten Blogbeitrag Genussvoll genießen »» wurde unter anderem erläutert, wie man das Genussempfinden in diversen Situationen steigern kann. Doch wie geht es all jenen Menschen, die dazu nicht in der Lage sind und im Generellen keinen Genuss wahrnehmen können, daneben auch noch an Freud-, Lust- und Motivationslosigkeit leiden?

Symptom einer Erkrankung

Zusammengefasst wird diese chronische Unfähigkeit, positive Gefühle zu empfinden bzw. sich für frühere Interessen und Hobbys begeistern zu können, unter dem Begriff Anhedonie. Dabei handelt es sich nicht um ein eigenständiges psychisches Störungsbild, sondern um ein ernstzunehmendes Symptom einer physischen oder psychischen Erkrankung. Vor allem im Zuge von depressiven Verstimmungen oder einer bereits diagnostizierten Depression tritt Anhedonie oft als Kernsymptom auf, aber auch bei Schizophrenie, einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie bei Angst- oder Essstörungen kann sich Anhedonie begleitend ausbilden.1

Im Detail werden 2 Formen von Anhedonie unterschieden, nämlich die antizipatorische und die konsumatorische Variante:2

  • Antizipatorische Anhedonie
    Betroffene sind unfähig, Vorfreude zu empfinden, weswegen auch die Motivation, mögliche erfreuliche Ereignisse herbeizuführen, gehemmt bzw. gestört ist.
  • Konsumatorische Anhedonie
    Im Moment des Erlebens kann keine Freude bzw. positive Gefühlsregung wahrgenommen werden. Das Vergnügen an der Aktivität fehlt demnach zur Gänze.

Daneben wird auch noch zwischen der sozialen und der physischen Anhedonie unterschieden: Während bei Ersterer soziale Interaktionen aufgrund eines verminderten Vergnügens an Gesprächen oder sozialen Kontakten gemieden werden, empfinden Betroffene bei der zweiten Ausprägung keinerlei Genuss an körperlichen Reizen wie beispielsweise an Berührungen.3 Damit ist Anhedonie klar von Traurigkeit, der sogenannten Dysthymie, abzugrenzen, da das Symptom nicht das Vorherrschen von negativen Gefühlen wie Niedergeschlagenheit umfasst, sondern das Fehlen von positiven Gefühlen im Generellen.4

Ursachen und Folgen

Mit der chronischen Freudlosigkeit gehen oftmals weitere Beschwerden einher, beispielsweise allgemeine Müdigkeit bei gleichzeitiger Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit genauso wie Antriebsschwäche. Und wegen der fehlenden positiven Empfindungen ziehen sich Betroffene in weiterer Folge oftmals zurück, da sie keinen Sinn darin sehen, nach Freude oder Glück zu suchen.5

Weil es sich, wie bereits erwähnt, bei der Anhedonie um ein Symptom einer Erkrankung handelt, gilt es, psychischen Belastungen auf den Grund zu gehen sowie mögliche physische Störungen/Krankheiten wie eine Schilddrüsenunterfunktion, einen Eisen- oder Vitaminmangel auszuschließen.6 Angenommen wird, dass neben belastenden Lebensereignissen und anhaltendem Stress zudem eine erbliche Komponente für Anhedonie verantwortlich sein könnte.7 Und nicht nur, dass Anhedonie ein Kernsymptom von Depressionen darstellt – sie führt als Symptom von anderen ursächlichen Erkrankungen häufiger dazu, überhaupt an Depressionen zu erkranken.8

Anhedonie und Depression – eine alarmierende Kombination

Tritt die chronische Freudlosigkeit schließlich als Symptom einer Depression auf, dann haben Betroffene wesentlich schlechtere Chancen auf vollständige Heilung: Die Erkrankung fällt in diesem Fall nämlich nicht nur häufig schwerer aus, sondern Untersuchungen zeigen auch, dass Betroffene öfter Rückfälle erleiden und ein erhöhtes Sterberisiko aufweisen.9

Hinzu kommt, dass sich die Behandlung von Depressionen mit Kernsymptom Anhedonie kompliziert gestaltet, da die Krankheitsanzeichen nicht mit den herkömmlichen Medikamenten gelindert werden können. In den meisten Fällen kommen bei Depressionen nämlich Antidepressiva zum Einsatz, die auf den Neurotransmitter Serotonin abzielen, also den Serotonin-Spiegel heben sollen, um negative Emotionen wie Traurigkeit zu verringern. Bei einer stark ausgeprägten Anhedonie ist jedoch die Dopamin-Ausschüttung gehemmt, sodass die meisten Medikamente nicht ausreichend gegen die chronische Freudlosigkeit wirken.10

Langwierige Therapie vonnöten

Im Vordergrund einer Behandlung steht also vor allem die Ermittlung der Ursache für die Anhedonie sowie eine darauf abgestimmte Behandlung. Im Falle von Depressionen ist jedoch häufig eine meist über Jahre andauernde Psychotherapie vonnöten, um eine Symptomlinderung bzw. generelle Heilung zu erzielen.11

Um nun speziell gegen die chronische Freudlosigkeit vorzugehen, steht die „Wiederherstellung eines positiven Lebensgefühls“12 im Fokus der Behandlung. So wird die/der Patient*in dazu angehalten, Aktivitäten zu planen und Tätigkeiten zu verrichten, die vormals positive Emotionen ausgelöst haben. Dadurch soll das durch Anhedonie erlernte Vermeidungsverhalten – also sozialer Rückzug sowie mangelnde Motivation aufgrund des Verlustes der Unternehmungsfreude – abgebaut werden. Mit dieser Technik erhofft man sich, wieder Freude an angenehmen Erfahrungen zurückzuerlangen, sodass die Aufmerksamkeit zunehmend auf das Erleben von positiven Dingen gerichtet wird. In Kombination mit Meditationstechniken sowie Imaginationsübungen liegt das Augenmerk dieses therapeutischen Ansatzes darauf, der/dem Patient*in aufzuzeigen, dass sie/er das „Schicksal – zumindest ein Stück weit – selbst in der Hand hat“13.14

Wesentlich ist dabei, „die Genussfähigkeit der Patienten wie einen Muskel zu stärken“15, wie die Leiterin des Anxiety and Depression Research Center der Southern Methodist University in Dallas betont. Das positive Lebensgefühl soll demnach wieder gestärkt und die Freude am Genuss wiedererlangt werden.16 Und obwohl entsprechende therapeutische Maßnahmen vielversprechend seien, könne eine stark ausgeprägte Anhedonie bei schweren Depressionen nicht immer zur Gänze gelindert werden, so Henrik Walter, Professor für Psychiatrie, psychiatrische Neurowissenschaft und Neurophilosophie an der Berliner Charité. Somit sei speziell bei chronischer Freudlosigkeit noch Forschung notwendig, um gezielter behandeln und Betroffenen helfen zu können.17

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch von besonderer Notwendigkeit, Anzeichen von Anhedonie nicht zu ignorieren, im Gegenteil. Liegt ihr eine physische Ursache zugrunde, kann die Primärerkrankung behandelt und damit eine Symptomlinderung erzielt werden. Bei Anhedonie als Begleitsymptom von psychischen Krankheiten – insbesondere Depressionen – bedarf es einer intensiven Psychotherapie, um die chronische Freudlosigkeit zu mildern und damit das allgemeine Krankheitsbild zu verbessern. Vordergründig ist, das positive Lebensgefühl neuerlich zu finden und Freude im Alltag zu verspüren, um ein ganzheitliches Wohlbefinden wiederherzustellen.

 


1 Vgl. Weirich, Brit: Anhedonie: Fehlende Freude als Symptom bei Depressionen. In: onmeda.de. Aktualisiert am 24.06.2022.
URL: https://www.onmeda.de/symptome/anhedonie-id212783/ [Stand: 18.07.2022] und
vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 17.08.2020.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

2 Vgl. Weirich, Brit: Anhedonie: Fehlende Freude als Symptom bei Depressionen.
URL: https://www.onmeda.de/symptome/anhedonie-id212783/ [Stand: 18.07.2022].

3 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

4 Vgl. Weirich, Brit: Anhedonie: Fehlende Freude als Symptom bei Depressionen.
URL: https://www.onmeda.de/symptome/anhedonie-id212783/ [Stand: 18.07.2022].

5 Vgl. Risch, Marc: Anhedonie – wenn nichts mehr Freude macht. In: clinicum-alpinum.com. Veröffentlicht am 03.07.2021.
URL: https://clinicum-alpinum.com/ratgeber/anhedonie-wenn-nichts-mehr-freude-macht/ [Stand: 18.07.2022].

6 Vgl. Van den Heuvel, Michael: Anhedonie: Wenn fehlende Freude krankhaft wird. In: praxisvita.de. Veröffentlicht am 22.11.2020.
URL: https://www.praxisvita.de/anhedonie-wenn-fehlende-freude-krankhaft-wird-19306.html [Stand: 18.07.2022].

7 Vgl. Risch, Marc: Anhedonie – wenn nichts mehr Freude macht.
URL: https://clinicum-alpinum.com/ratgeber/anhedonie-wenn-nichts-mehr-freude-macht/ [Stand: 18.07.2022].

8 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

9 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

10 Vgl. Weirich, Brit: Anhedonie: Fehlende Freude als Symptom bei Depressionen.
URL: https://www.onmeda.de/symptome/anhedonie-id212783/ [Stand: 18.07.2022].

11 Vgl. Weirich, Brit: Anhedonie: Fehlende Freude als Symptom bei Depressionen.
URL: https://www.onmeda.de/symptome/anhedonie-id212783/ [Stand: 18.07.2022].

12 Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

13 Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

14 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

15 Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

16 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

17 Vgl. Hartmann, Corinna: Keine Lust.
URL: https://www.spektrum.de/news/anhedonie-freudlosigkeit-belastet-viele-psychisch-kranke-menschen/1755470 [Stand: 18.07.2022].

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Veröffentlicht am: 31.08.2022