Eine Störung mit vielen Gesichtern

 

Bei einer Persönlichkeitsstörung sind bestimmte Charaktereigenschaften stark ausgeprägt. Doch welche Merkmale weisen explizit auf die Erkrankung hin und ab wann besteht dringender Handlungsbedarf?

Wir alle unterscheiden uns auf den ersten Blick durch ganz eigene körperspezifische Eigenschaften. Lernen wir uns schließlich näher kennen, erfahren wir auch etwas über die einzigartige Persönlichkeit des Gegenübers. Diese unvergleichlichen Wesenszüge sind nonverbal gesellschaftlich normiert und bewegen sich in ihren Ausprägungen innerhalb eines als ‚normal‘ geltenden Spektrums. Nehmen diese Eigentümlichkeiten also ein extremes Ausmaß an, dann wird dies auch sofort erkannt, aber nicht immer hinterfragt, denn nicht zuletzt könnte sich dahinter eine psychische Störung verbergen.

Andere Verhaltensmuster als gewöhnlich

Liegt nämlich eine Persönlichkeitsstörung vor, dann weisen Betroffene abweichende Verhaltensarten auf als die allgemeine Umgebung, was vielfach als ‚auffällig‘ wahrgenommen wird. Ausgegangen wird davon, dass etwa 5 % bis 10 % der Gesamtbevölkerung – Frauen und Männer gleichermaßen – im Laufe ihres Lebens an einer Persönlichkeitsstörung erkranken.1 Obwohl die genaue Ursache für die Entstehung der Störung nicht bekannt ist und man eher von einer Vielzahl an möglichen Faktoren ausgeht, die zusammenwirken,2 schreibt man hierbei der Vererbung und den (früh)kindlichen Erfahrungen wesentliche Rollen zu. So können Konflikte oder traumatische Ereignisse wie Vernachlässigung, Gewalt oder Verlusterlebnisse die Ausbildung der Störung begünstigen, Geborgenheit oder Fürsorge hingegen Schutzfunktionen dahin gehend bieten. Die Störung entwickelt sich sodann zumeist in der Jugendzeit, manchmal manifestiert sie sich auch erst im Erwachsenenalter.3

Arten der Störung voneinander abgrenzen

Um die diversen Ausformungen von Persönlichkeitsstörungen klar voneinander abzugrenzen, finden sich die unterschiedlichen Arten der Störung im Kapitel V des ICD-10 gegliedert von F60 bis hin zu F69 mit den weiteren spezifischen Diagnose-Gruppen.4 Der außerhalb den USA für den Forschungsbereich relevante DSM-5 – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders –5 nimmt hingegen eine Kategorisierung in 3 Gruppen vor und teilt die jeweiligen Störungsarten wie folgt zu:6

  • Persönlichkeitsstörungen der Gruppe A betreffen all jene Personen, die als sonderbar wahrgenommen werden oder mit einem exzentrischen Verhalten auffallen.
  • In die Gruppe B der Persönlichkeitsstörungen werden Erkrankungen mit emotionalen, launischen oder dramatischen Verhaltensweisen eingeteilt.
  • Gruppe C der Persönlichkeitsstörungen fasst jene Krankheiten mit speziell ängstlichen oder furchtsamen Charaktermerkmalen zusammen.

Eine Kombinierte Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn eine definitive Einteilung in die eben genannten Gruppen nicht genau möglich ist bzw. kategorienübergreifende Verhaltensweisen eine explizite Diagnose verhindern.7

Im Detail untergliedern sich die einzelnen Gruppen nach DSM-5 nun in die spezifischen Ausprägungen von Persönlichkeitsstörungen. So werden der Gruppe A folgende Störungen zugeordnet:8

  • Paranoide Persönlichkeitsstörung
    Personen mit paranoider Persönlichkeitsstörung sind anderen gegenüber misstrauisch und argwöhnisch und leben in der ständigen Annahme, dass Mitmenschen ihnen schaden wollen.
  • Schizoide Persönlichkeitsstörung
    Betroffene zeigen sich in zwischenmenschlichen Beziehungen sehr zurückhaltend, weswegen sie nicht selten kühl und distanziert wirken; außerdem leben sie vielfach sehr zurückgezogen, empfinden Einsamkeit jedoch nicht als unangenehm.
  • Schizotype Persönlichkeitsstörung
    Menschen mit dieser Art der Störung fallen durch ein ‚sonderbares‘ Verhalten auf und wirken auf andere eigenartig, nicht zuletzt aufgrund einer veränderten Denkweise, die auch zwischenmenschliche Gespräche oftmals umständlich machen.

Persönlichkeitsstörungen, die in die Gruppe B eingeteilt werden, kennzeichnen sich durch die nachstehenden Merkmale:9

  • Histrionische Persönlichkeitsstörung
    Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung streben nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, um Einsamkeitsgefühle zu reduzieren. Des Weiteren sind sie sehr emotional und reagieren infolgedessen stark auf positive bzw. negative Gefühle.
  • Narzisstische Persönlichkeitsstörung
    Betroffene suchen ständig nach Anerkennung, Erfolg und Bewunderung und stellen sich selbst und die eigenen Fähigkeiten in übertriebenem Ausmaß dar. Fehlende Empathie sowie die Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, sind weitere Merkmale.
  • Antisoziale bzw. dissoziale Persönlichkeitsstörung
    Menschen mit dieser Art der Störung sind leicht zu reizen, impulsiv und verfügen über ein geringes Einfühlungsvermögen. Des Weiteren weisen sie aggressive und gewalttätige Persönlichkeitsmerkmale auf.
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung
    Betroffene mit dieser Erkrankung sind in ihren Emotionen sehr instabil und häufig impulsiv, was Auswirkungen auf die Mitmenschen hat. Vielfach kommt es zu Verletzung sich selbst oder andere betreffend.

Zuletzt werden der Gruppe C die folgenden Krankheitsbilder zugeordnet:10

  • Vermeidend-selbstunsichere (oder ängstlich vermeidende) Persönlichkeitsstörung
    Betroffene sind im sozialen Umgang sehr zurückhaltend, weil sie sich selbst als unattraktiv oder unfähig wahrnehmen und gleichzeitig sehr empfindlich auf Kritik reagieren. Weder stehen sie gerne im Mittelpunkt noch tun sie ihre Meinung kund.
  • Dependente (oder abhängige) Persönlichkeitsstörung
    Diese Art der Störung zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Fürsorge von anderen aus. Betroffene wollen keine Verantwortung übernehmen und sind von Hilfestellungen abhängig.
  • Zwanghafte (oder anankastische) Persönlichkeitsstörung
    Personen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung streben nach Ordnung, Perfektion und nach Kontrolle. Diese Anforderungen haben sie auch an ihre Mitmenschen, weswegen es nicht selten zu Konflikten dahin gehend kommt.

Obwohl so manche Merkmale auf einen selbst zutreffen können, bedeutet dies nicht gleichzeitig, an einer Persönlichkeitsstörung zu leiden. Empfohlen wird jedoch, dass bei starker Ausprägung bestimmter Merkmale, die auf die Erkrankung hinweisen können, eine Persönlichkeitsstörung mittels Diagnoseverfahren ausgeschlossen wird.11

Doch wann sollte man nun wirklich Hilfe suchen?

Nicht immer empfinden Betroffene oder deren Mitmenschen die Störung als einschränkend; in diesem Fall wird die Störung auch nicht zwangsläufig behandelt: „In dem Augenblick, in dem die Klienten selbst sagen, sie wollen das so nicht mehr, liegt meiner Ansicht nach eine Störung vor“12, wie Rainer Sachse, Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie der Ruhr-Universität in Bochum, erklärt. Somit muss zuerst die/der Betroffene selbst für sich feststellen, ab welchem Zeitpunkt eine Einschränkung aufgrund von Leidensdruck besteht. Sodann ist jedoch dringender Handlungsbedarf gegeben, denn Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen können zusammen mit der Störung auftreten.13

Häufig wissen Betroffene jedoch gar nicht, dass psychische Probleme mit der Störung einhergehen: „Vielfach kommen die Klienten ja nicht mit der Annahme einer Persönlichkeitsstörung in die Therapie, sondern mit ganz anderen Problemen. Im Verlauf der ersten Stunden zeigt sich dann, dass eine Persönlichkeitsstörung das zugrunde liegende Problem sein kann“14, wie Sachse weiter ausführt. Und obwohl Persönlichkeitsstörungen mittels Therapie geheilt werden können,15 gelten sie „als schwer veränderbar, weil Klienten den Veränderungsbedarf nicht bei sich, sondern nur bei den anderen sehen“16, so Sachse.

Eine Therapie zur Behandlung der Störung zielt dabei nicht darauf ab, die Persönlichkeit der betroffenen Person zu ändern; zunächst wird ein Verständnis und in weiterer Folge ein angemessener Umgang mit der Störung erarbeitet sowie geschult. Sodann wird individuell auf die/den Patient*in und auf die Art der Störung abgestimmt eine neue Verhaltens- und Sichtweise erprobt sowie trainiert.17

Erste Anlaufstellen bei Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung

Wenn der Verdacht besteht, an einer Persönlichkeitsstörung erkrankt zu sein, persönlicher Leidensdruck sowie schädliches Verhalten sich selbst und den Mitmenschen gegenüber besteht, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Erste Anlaufstelle ist hier die/der Fachärzt*in für Psychiatrie oder ein*e Psychotherapeut*in; auch klinische Psycholog*innen können zurate gezogen werden. Angehörige der betroffenen Person können sich beispielsweise an den Verein HPE (Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter) wenden.18

In jedem Fall gilt, dass stark ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale, die auf eine Störung hinweisen können und welche zusätzlich als einschränkend wahrgenommen werden, einer Behandlung bedürfen. Erst dadurch kann die spezifische Störungsart diagnostiziert und in weiterer Folge zielführend behandelt sowie schlussendlich geheilt werden

 


1 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung. In: focus-arztsuche.de. Veröffentlicht am 05.02.2021.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Persönlichkeitsstörungen: Was ist das? Aktualisiert am 30.01.2020.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/was-ist-das [Stand: 16.12.2021].

3 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

4 Vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: ICD-10-GM Version 2022. Kapitel V. Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99). Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69).
URL: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2022/block-f60-f69.htm [Stand: 19.01.2022].

5 Vgl. Möller, H.-J.: DSM-5: Möglichkeiten und Grenzen in der Verbesserung der Klassifikation/Diagnostik psychischer Erkrankungen. In: Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 19 (4)/2018, S. 144 ff.

6 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

7 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

8 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

9 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

10 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

11 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Persönlichkeitsstörungen: Was ist das?
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/was-ist-das [Stand: 16.12.2021].

12 Britten, Uwe: Interview mit Prof. Dr. phil. Rainer Sache, Institut für Psychologische Psychotherapie, Ruhr-Universität Bochum: „Wir müssen konfrontieren können“. In: aerzteblatt.de. Veröffentlicht im Mai 2018.
URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/197876/Interview-mit-Prof-Dr-phil-Rainer-Sachse-Institut-fuer-Psychologische-Psychotherapie-Ruhr-Universitaet-Bochum-Wir-muessen-konfrontieren-koennen [Stand: 17.12.2021].

13 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Persönlichkeitsstörungen: Diagnose & Therapie. Aktualisiert am 30.01.2020.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/diagnose-therapie [Stand: 17.12.2021].

14 Britten, Uwe: Interview mit Prof. Dr. phil. Rainer Sache, Institut für Psychologische Psychotherapie, Ruhr-Universität Bochum: „Wir müssen konfrontieren können“.
URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/197876/Interview-mit-Prof-Dr-phil-Rainer-Sachse-Institut-fuer-Psychologische-Psychotherapie-Ruhr-Universitaet-Bochum-Wir-muessen-konfrontieren-koennen [Stand: 17.12.2021].

15 Vgl. Schwenkenbecher, Jan: Persönlichkeitsstörung.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/psychische-erkrankungen/persoenlichkeitsstoerung-definition-arten-und-symptome [Stand: 16.12.2021].

16 Britten, Uwe: Interview mit Prof. Dr. phil. Rainer Sache, Institut für Psychologische Psychotherapie, Ruhr-Universität Bochum: „Wir müssen konfrontieren können“.
URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/197876/Interview-mit-Prof-Dr-phil-Rainer-Sachse-Institut-fuer-Psychologische-Psychotherapie-Ruhr-Universitaet-Bochum-Wir-muessen-konfrontieren-koennen [Stand: 17.12.2021].

17 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Persönlichkeitsstörungen: Diagnose & Therapie.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/diagnose-therapie [Stand: 17.12.2021].

18 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Persönlichkeitsstörungen: Diagnose & Therapie.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/persoenlichkeitsstoerung/diagnose-therapie [Stand: 17.12.2021].

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Veröffentlicht am: 19.01.2022