Die Wechselwirkung zwischen Psyche und Armut

 

Darüber, dass psychische Erkrankungen zu Armut führen und Armut psychische Krankheiten begünstigt, wird immer wieder gesprochen. Aber wie entsteht dieser Teufelskreis und welche Faktoren sind dafür ausschlaggebend?

Vielfach wird über Armut gesprochen, über ein Leben am Existenzminimum; doch all jene, die glücklicherweise nicht davon betroffen sind, können sich diesen Umstand kaum vorstellen, ja wissen oftmals nicht, wie viele Menschen tatsächlich an der Armutsschwelle leben. Denn Armut muss nicht immer sofort auf den ersten Blick offensichtlich sein, was gleichzeitig auch einen falschen Eindruck von der tatsächlichen Lage vermittelt. Und aktuelle Zahlen dazu – gesammelt, ausgewertet und zusammengefasst von der Europäischen Union – geben Aufschluss darüber, wie viele Österreicher*innen tatsächlich von Armut betroffen sind:1 Insgesamt 16,9 % – das sind rund 1.472.000 Menschen – sind demnach armuts- bzw. ausgrenzungsgefährdet. Doch was genau sagt dies aus?

Als armutsgefährdet gelten all jene Menschen, welche über ein Einkommen verfügen, das unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt; hierbei geht man von monatlich € 1.286,- für einen 1-Personen-Haushalt aus. Je nach familiärer Situation (Alleinerziehende mit Kind, Paare sowie Eltern von mehreren Kindern) ändert sich der Monatswert. Besonders armutsgefährdet sind hierbei Kinder, Alleinerzieherinnen, ältere Frauen sowie Langzeitarbeitslose und Personen mit chronischer Erkrankung.2 Und auch das psychische Befinden hat einen großen Einfluss, denn in vielen Fällen bedingen sich psychische Krankheiten und Armut gegenseitig.

Und Menschen mit psychischen Erkrankungen sehen sich sogleich mit mehreren Problemen konfrontiert, die zu Armut führen können.

Mittlerweile stellen psychische Erkrankungen die häufigsten Krankheitsbilder weltweit dar und auch in Österreich leiden immer mehr Menschen beispielsweise an Depressionen oder Angststörungen. Eine Studie der OECD zeichnet dazu ein düsteres Bild:3 In Österreich sind psychische Krankheiten zu 44 % dafür verantwortlich, dass die Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Damit liegen sie gemäß der Auswertung weit vor anderen Krankheitsbildern. Und mit diesem Wert ist Österreich auch Spitzenreiter. Ein wesentliches Problem für diesen Umstand sei es, dass psychische Erkrankungen in Unternehmen nicht thematisiert, sogar tabuisiert seien, so Christopher Prinz, österreichischer Pensions- und Arbeitsmarktexperte der OECD in Paris. Betroffene, so Prinz, sprechen auch nicht über ihre Erkrankung, weil sie befürchten, den Job zu verlieren. Und diese anhaltende Stigmatisierung verschlimmere die Problematik zunehmend.4

Mit dem Verlust der Arbeitsstelle bzw. der Arbeitsunfähigkeit gehen psychische Krankheiten einher bzw. verschlimmern sich.

Wie bereits im Blogbeitrag vom 11.11.2020 Arbeit als wichtiger Faktor für psychisches Wohlbefinden »» erläutert, ist Arbeit wesentlicher Teil für die Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit und umgekehrt. Anhaltende Arbeitslosigkeit führt auf Dauer zu Überforderung und Stress, zum Verlust eines strukturierten Tages und nicht zuletzt zu finanziellen Belastungen. Die Folge: Immer fortwährende Symptome wie Niedergeschlagenheit, Lebensunzufriedenheit oder Verringerung des Selbstwertgefühls könnten Angstzustände auslösen oder eine Depression hervorrufen.5

Besteht andererseits aufgrund einer psychischen Erkrankungen eine generelle Arbeitsunfähigkeit, so bringt dies die angeführten Begleiterscheinungen mit sich und natürlich auch finanzielle Einschränkungen, die auf Dauer zu Armut führen können. Zusammenfassend ergibt sich somit ein Teufelskreis: „Psychische Erkrankung führt zu Armut, die ihrerseits zu psychischen Problemen führt, die erneut die Armut verstärken“6.

Und die Psyche leidet zunehmend unter der finanziellen Not.

Denn neben einer längeren bzw. dauerhaften Arbeitslosigkeit und dem Fehlen des notwendigen Einkommens zur Bestreitung des Lebensunterhaltes sehen sich Betroffene, egal ob gesunde Menschen oder jene mit psychischen Erkrankungen, mit gesellschaftlichen Vorurteilen, sogar Stigmatisierungen konfrontiert: Nicht selten müssen sie Verdächtigungen und Unterstellungen über sich ergehen lassen – Stichwort Sozialleistungen. Die fehlende Integration in den Arbeitsalltag bringt somit auch automatisch einen Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben mit sich.7

Neben der Erkrankung und dem Erhalt der Lebensgrundlage kämpft man nun auch gegen eine Pandemie.

Gerade die aktuell anhaltende globale Gesundheitskrise mit Schutzmaßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 verstärkt die eben angeführten Aspekte noch einmal um ein Vielfaches. Eine qualitative Studie8 der Österreichischen Armutskonferenz zeigt auf, wie sich die Situation auf bereits Betroffene auswirkt: „Wer vor dem März 2020 prekär oder gar irregulär gearbeitet hatte, konnte in den Wochen danach seinen bzw. ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft kaum noch bestreiten“9, so ein Teilergebnis der Studie. Des Weiteren wurde ermittelt, dass Armutsbetroffene überdurchschnittlich oft einer Risikogruppe zuzuordnen sind, was damit im Zusammenhang steht, dass sie aufgrund fehlender finanzieller Möglichkeiten seltener ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und damit auch bei schlechterer Gesundheit sind. Und ausschließlich von Armutsbetroffenen bemerkt wurde die stetige Preissteigerung von Lebensmitteln; auch Zukunftsängste wirkten sich auf die finanzielle Lage aus.10

Wohin bzw. an wen können sich Betroffene wenden?

Gemäß der eben erwähnten Studie erläuterten viele, unterstützende Maßnahmen in Anspruch genommen zu haben – hierbei vor allem die interfamiliäre Hilfestellung durch die Eltern. Auch soziale Einrichtungen wurden im vergangenen Jahr verstärkt aufgesucht und staatliche Corona-Hilfen in Anspruch genommen.11

Nicht immer sind diese Mittel jedoch ausreichend dafür, die eigene Existenz und gegebenenfalls die der Familie zu sichern. Und vor allem für von Armut Betroffene, die vielleicht sogar auf kein unterstützendes Netzwerk zurückgreifen können, ist die aktuelle Situation noch um ein Vielfaches problematischer. Eventuelle Geldleistungen der Sozialschutzsysteme zur Vermeidung von Armut können dabei nicht immer ausreichend sein und deswegen ist es auch von Wichtigkeit, zu wissen, wohin man sich wenden kann und welche weiteren Maßnahmen getroffen werden können, um eine Existenzgrundlage zu gewährleisten. In diesem Fall stehen diverse Beratungsstellen mit Hilfeleistungen zur Verfügung, welche Betroffene nicht scheuen sollten, auch zu kontaktieren:

Sozialarbeit Graz – Krisendienst
Telefon: +43 316 872 – 30 43
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag bis 18:00 Uhr, danach rund um die Uhr über die Notrufnummer der Feuerwehr (T: 122)

Sozial- und Pflegetelefon des Landes Steiermark
Telefon: +43 800 20 10 10
kostenlose Erstauskünfte und Beratungsleistungen in sozialen Fragen beispielsweise zur Schuldenprävention, aber auch Sozial- und Mindestsicherungsberatung

Schuldnerberatung Steiermark (Graz)
Telefon: +43 316 37 25 07
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag zwischen 09:00 und 12:30 Uhr

Arche 38 – Caritas Notschlafstelle, Betreutes Wohnen (Graz)
Telefon: +43 316 80 15 730 (Erreichbarkeit rund um die Uhr)
Anlaufstelle für Menschen in Not; Basisversorgung über kurz- oder mittelfristige Wohnversorgung bis hin zu individuellen Beratungsangeboten

Psychosoziale Dienste
Ein vollständiges Adressverzeichnis aller steirischen psychosozialen Dienste finden Sie unter www.plattformpsyche.at »»

 


1 Vgl. Die Armutskonferenz: Aktuelle Armutszahlen. Daten aus EU-SILC 2019 (veröffentlicht im Mai 2020).
URL: http://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html [Stand: 08.03.2021].

2 Vgl. Die Armutskonferenz: Aktuelle Armutszahlen. Daten aus EU-SILC 2019 (veröffentlicht im Mai 2020).
URL: http://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html [Stand: 08.03.2021].

3 Vgl. Ö1: Psychisch Kranke besonders oft arbeitslos. OECD: Österreich ist Spitzenreiter. In: orf.at. Veröffentlicht am 08.04.2017.
URL: https://oe1.orf.at/artikel/292937/Psychisch-Kranke-besonders-oft-arbeitslos [Stand: 08.03.2021].

4 Vgl. Ö1: Psychisch Kranke besonders oft arbeitslos. OECD: Österreich ist Spitzenreiter.
URL: https://oe1.orf.at/artikel/292937/Psychisch-Kranke-besonders-oft-arbeitslos [Stand: 08.03.2021].

5 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Arbeitslosigkeit: Gesundheitliche Auswirkungen. Zuletzt aktualisiert am 09.06.2020.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/lebenswelt/beruf/arbeitslosigkeit/auswirkungen [Stand: 08.03.2021].

6 Felten, Michael: Psychisch krank macht arm – Armut macht psychisch krank. In: armutskonferenz.at.
URL: http://www.armutskonferenz.at/files/statement_soziale-sicherung_pro-mente_20190618.pdf [Stand: 08.03.2021].

7 Vgl. Redl, Bernadette: Armut kann körperlich und psychisch krank machen. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 01.03.2018.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000075127793/wie-demuetigung-krank-macht [Stand: 08.03.2021].

8 Vgl. Die Armutskonferenz: Erhebung: Armutsbetroffene und die Corona-Krise. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen. Veröffentlicht am 08.10.2020.
URL: http://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/erhebung-armutsbetroffene-und-die-corona-krise.html [Stand: 09.03.2021].

9 Die Armutskonferenz: Erhebung: Armutsbetroffene und die Corona-Krise. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen. Veröffentlicht am 08.10.2020.
URL: http://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/erhebung-armutsbetroffene-und-die-corona-krise.html [Stand: 09.03.2021].

10 Vgl. Die Armutskonferenz: Erhebung: Armutsbetroffene und die Corona-Krise. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen. Veröffentlicht am 08.10.2020.
URL: http://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/erhebung-armutsbetroffene-und-die-corona-krise.html [Stand: 10.03.2021].

11 Vgl. Vgl. Die Armutskonferenz: Erhebung: Armutsbetroffene und die Corona-Krise. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus der Sicht von Betroffenen. Veröffentlicht am 08.10.2020.
URL: http://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/erhebung-armutsbetroffene-und-die-corona-krise.html [Stand: 10.03.2021].

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Veröffentlicht am: 31.03.2021