‚Die Seele baumeln lassen‘ muss auch trainiert werden
Entspannung in den Alltag zu integrieren, ist in unserer hektischen Zeit nicht immer einfach. Damit Stress aber trotzdem kein Dauerzustand wird, können verschiedenste Methoden und Techniken dazu verhelfen, das körperliche und psychische Wohlbefinden zu steigern.
Hin und wieder einen stressigen Alltag zu erleben, gehört zu den Anforderungen unserer modernen Gesellschaft dazu. Und eine solche Anspannung muss nicht immer negativ sein, solange sie nicht lange anhält. Stress hat nämlich die Eigenschaft, uns reaktionsschnell, leistungsfähiger und hellwach zu machen, wodurch wir in der Lage sind, schwierige Situationen besser zu meistern.1
Wird Stress jedoch chronisch und werden ständig Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, so stehen wir quasi immerfort unter Strom.2 Damit schaden wir auch unserem Immunsystem: „Stress schwächt das Immunsystem, sodass man anfälliger für körperliche und psychische Krankheiten wird. Stress führt aber auch zu Verspannungen der gesamten Muskulatur und somit zu Schmerzen, er beeinträchtigt die Schlafqualität und vermindert die Leistungsfähigkeit, Konzentration, Kreativität und Flexibilität“3, wie Johanna Sonnleitner-Hofer vom Zentrum für Psychosomatik an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg erklärt. Es kommt zu einer anhaltend gedrückten Stimmung, man fühlt sich gereizt, gehetzt, ängstlich und auch zu stark unter Druck gesetzt, verspürt Erschöpfung, Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit.4
Ständige Belastung und innere Unruhe machen auf Dauer krank
Somit sorgt Stress für langanhaltende innere Unruhe. Reaktionen wie ständiges Herzklopfen, Zittern, Schwitzen oder zu hoher Blutdruck sind damit Symptome, die nicht ignoriert werden sollten. Der Zustand einer andauernden Anspannung führt nämlich langfristig zu schwerwiegenden Erkrankungen den Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System oder die Psyche betreffend. Demzufolge ist es notwendig, die/den Hausärzt*in oder sogleich eine/einen Psychotherapeut*in um Rat zu fragen, um der tatsächlichen Ursache auf den Grund gehen zu können.5
Hilfe zur Selbsthilfe – Entspannungsmethoden (kennen)lernen
Im Folgenden sollen bewährte Entspannungstrainings sowie wirkungsvolle Methoden angeführt werden, die erlernt bzw. durchgeführt werden können, um einen erhöhten Stresslevel wieder zu verringern.
Systematische und achtsamkeitsbasierte Entspannungsverfahren
In diesem Kontext haben sich mehrere Trainingsmethoden etabliert, deren Wirkung auf Körper und Psyche wissenschaftlich belegt sind. Welches Verfahren dabei das passende für die jeweilige Person ist, muss individuell bestimmt werden. Im Generellen wird zwischen systematischen und achtsamkeitsbasierten Entspannungsverfahren unterschieden. Ersteres umfasst dabei beispielsweise das Autogene Training oder die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und legt den Schwerpunkt auf die Wahrnehmung des Körpers und dessen bewusst herbeigeführte Entspannung. Trainings, welche auf Achtsamkeit basieren, beispielsweise Meditationsübungen, legen den Fokus auf eine nicht wertende Wahrnehmung von Körper, Psyche und Emotion.6 Ziel dieser Techniken ist immer das Erzeugen von Wohlbefinden, Gelassenheit und Zufriedenheit mit gleichzeitiger Stressreduktion.7
Den Körper durch Bewegung fordern
Dass Sport und regelmäßige Bewegung den Cortisol-Spiegel senken und damit Stresshormone abbauen, ist bekannt. Spezielle Yoga- oder Pilates-Trainingseinheiten erzielen dieselbe Wirkung und ermöglichen bei richtiger Ausführung eine wohltuende Muskelentspannung. So kann durch Yoga die Tiefenmuskulatur aktiviert und die Körperhaltung verbessert werden, gleichzeitig die Pulsfrequenz gesenkt, dennoch aber körpereigenes Fett verbrannt werden. Das spirituelle und geistige Training vereint dabei gezielte Bewegungen mit kontrollierten Atemübungen und führt durch bewusst herbeigeführte An- und Entspannung des Körpers zu mehr Wohlbefinden.8 Auch Pilates ist wie Yoga ein Ganzkörpertraining, das dazu verhilft, Verspannungen zu lösen. Der Fokus liegt dabei jedoch hauptsächlich auf der Stärkung der Beckenboden-, Bauch- und Rückenmuskulatur und führt bei regelmäßiger Ausübung zu einer besseren Bewegungskontrolle und -koordination.9
Auf die richtige Atmung darf dabei nicht vergessen werden.
Den eben angeführten Entspannungs- und Trainingsmethoden ist gemein, dass die Atmung immer eine wichtige Rolle spielt. „Die Atmung ist das Bindeglied zwischen Körper und Seele“10, wie es der Bremer Diplompsychologe und Psychotherapeut Björn Husmann formuliert. Sie beeinflusst nämlich stets verschiedenste Körperfunktionen und auch das psychische Wohlbefinden: „Bewusstes, gelöstes Atmen hilft, den gegenwärtigen Augenblick wahrzunehmen und die Konzentration auf den Moment zu unterstützten. Zugleich beruhigt uns ein entspannter, fließender Atem“11, so die weiterführende Erläuterung Husmanns. Denn unsere Atmung ist Indikator dafür, wie wir uns aktuell fühlen: Haben wir Angst, dann atmen wir eher flach; erschrecken wir uns, so kann es passieren, dass uns der Atem ganz ‚wegbleibt‘; in Stresssituationen wird unsere Atmung eher gehetzt.12 Beim langsamen Atmen entspannt sich der gesamte Körper, aber auch Blutdruck und Herzfrequenz sinken merklich. Zurückzuführen ist dies auf die Aktivierung des sogenannten Parasympathikus, den Teil des Nervensystems, welcher für Entspannung zuständig ist. Wiederum in Stresssituationen ist der Sympathikus aktiv: Die Atmung wird – wie eben beschrieben – schneller, verschiedenste Körperfunktionen werden angeregt und die Reaktionsfähigkeit steigt.13
Für wen eignet sich nun welche Entspannungstechnik (nicht)?
Dass die eben erwähnten Methoden zur Entspannung und Stressreduktion in der Medizin häufig angewandt werden, wurde bereits angemerkt. Und gerade bei innerer Unruhe, Schlafproblemen, leichten Ängsten oder allgemeiner Erschöpfung können diese äußerst effektiv sein. Sie wirken aber auch anregend auf den Organismus und lindern beispielsweise muskuläre Verspannungen im Rücken oder Verdauungsbeschwerden, welche oftmals mit Stress einhergehen. Auch bei wiederkehrenden Kopfschmerzen, die auf körperliche Anspannung zurückzuführen sind, können Entspannungstechniken förderlich sein. Welches Verfahren jedoch individuell passend ist und schließlich die persönlichen Bedürfnisse befriedigt, muss zunächst herausgefunden werden.14
Und obwohl die diversen Methoden im Generellen körperaktivierend wirken und das psychische Wohlbefinden steigern, so gilt auch, bei manchen Beschwerden oder psychischen Erkrankungen Vorsicht walten zu lassen: So sollten Menschen mit Gelenksproblemen und anderen orthopädischen Einschränkungen vorab mit der/dem Ärzt*in darüber sprechen, ob beispielsweise Yoga in diesem Fall sinnvoll ist bzw. unterstützend wirkt oder bestehende Symptome negativ beeinflussen könnte. Auch Meditation ist zum Beispiel für Menschen mit Depressionen nicht immer zu empfehlen, da die damit einhergehende Ruhe belastende Gedanken und Emotionen verstärken könnte. Wenn demnach also Vorerkrankungen den Körper oder die Psyche betreffend bestehen und Entspannungstechniken durchgeführt werden wollen, empfiehlt sich eine medizinische Abklärung dahin gehend oder die Anwendung der Übungen unter professioneller Anleitung durch ausgebildete Trainer*innen.15
Im Generellen führen die verschiedensten Trainingsmethoden jedoch nachweislich zur Reduktion von Stress und zu mehr Gelassenheit, Entspannung und Wohlbefinden, mobilisieren gleichzeitig den Bewegungsapparat bzw. aktivieren den Organismus. Herausgefunden werden muss nur, welche Übungen am besten die eigenen Bedürfnisse unterstützen und welche eher vermieden werden sollten, um bestehende Krankheiten nicht zu verschlechtern. Doch im Grunde gilt: „Entspannung ist Hilfe zur Selbsthilfe. Entspannen kann jeder. […] Je regelmäßiger Sie üben, desto leichter wird es Ihnen fallen, in Stresssituationen bei sich zu bleiben“16, so Husmanns Resümee.
1 Vgl. Wyssling, Heinz Léon: Die zehn bekanntesten Stress-Mythen im Check. In: focus.de. Veröffentlicht am 18.10.2017.
URL: https://www.focus.de/gesundheit/experten/der-stress-mit-dem-stress-die-zehn-bekanntesten-stress-mythen_id_7554029.html [Stand: 15.07.2021].
2 Vgl. Fersch, Bastian: Tipps für Entspannung und Wellness. In: apothekenumschau.de. Veröffentlicht am 29.08.2016.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/psyche/tipps-fuer-entspannung-und-wellness-702115.html [Stand: 15.07.2021].
3 Koxeder, Birgit: Entspannung im Alltag stärkt Körper und Psyche. In: meinegesundheit.at. Veröffentlicht im Mai 2011.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.690231 [Stand: 15.07.2021].
4 Vgl. Klöckner, Lydia: Warum innere Unruhe krank macht. In: t-online.de. Veröffentlicht am 30.05.2021.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_76711610/innerliches-zittern-warum-innere-unruhe-krank-macht.html [Stand: 15.07.2021].
5 Vgl. Klöckner, Lydia: Warum innere Unruhe krank macht.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_76711610/innerliches-zittern-warum-innere-unruhe-krank-macht.html [Stand: 15.07.2021].
6 Vgl. Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen. In: t-online.de. Veröffentlicht am 12.07.2021.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
7 Vgl. Koxeder, Birgit: Entspannung im Alltag stärkt Körper und Psyche.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.690231 [Stand: 15.07.2021].
8 Vgl. Bömelburg, Helen: Entspannt die Seele streicheln. In: stern.de. Veröffentlicht am 10.09.2008.
URL: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/tipps-fuer-die-psyche-entspannt-die-seele-streicheln-3751136.html [Stand: 15.07.2021].
9 Vgl. Fersch, Bastian: Tipps für Entspannung und Wellness.
URL: https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/psyche/tipps-fuer-entspannung-und-wellness-702115.html [Stand: 15.07.2021].
10 Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
11 Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
12 Vgl. Zimmermann, Nina C.: Wie sich Stress einfach wegatmen lässt. In: welt.de. Veröffentlicht am 06.09.2013.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/article119770402/Wie-sich-Stress-einfach-wegatmen-laesst.html [Stand: 15.07.2021].
13 Vgl. Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
14 Vgl. Klöckner, Lydia: Warum innere Unruhe krank macht.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_76711610/innerliches-zittern-warum-innere-unruhe-krank-macht.html [Stand: 15.07.2021].
15 Vgl. Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
16 Landzettel, Ann-Kathrin: Welche Entspannungsmethoden wirklich helfen.
URL: https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_90429668/welche-entspannungsmethoden-wirklich-helfen.html [Stand: 15.07.2021].
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Veröffentlicht am: 18.08.2021