Chronobiologie – Die innere Uhr als ununterbrochener Taktgeber

 

Wir alle erleben im Laufe des Tages merkliche Leistungsschübe und Müdigkeitserscheinungen. Diese sind auf den menschlichen Biorhythmus zurückzuführen. Doch was genau hat es mit der sogenannten inneren Uhr auf sich und was passiert, wenn wir sie ignorieren?

Bestimmt haben viele für sich bereits festgestellt, wann sie tagsüber am aktivsten sind, wann sie ein Leistungstief haben, wann sie schlafen müssen und wie viel davon benötigt wird, um ausgeruht und erholt zu erwachen. All diese Mechanismen werden unter dem Begriff Biorhythmus zusammengefasst, auch bekannt als die sogenannte ‚innere Uhr‘.1

Wissenschaft vs. Irrlehre

Während der Biorhythmus des Menschen im Zuge der noch jungen wissenschaftlichen Disziplin der Chronobiologie erforscht wird,2 wird der Terminus auch pseudowissenschaftlich im Bereich der Mantik gebraucht: Hierzu besteht die Hypothese, dass das Leben von drei wellenförmigen Rhythmen beeinflusst wird, der physikalischen, der intellektuellen und der emotionalen Konstitution. Ausgehend von diesem Modell soll der zukünftige Gemütszustand eruiert werden können, welcher vom regelmäßigen Aufeinandertreffen dieser Wellen abhängig ist.3 Da es zu dieser Hypothese – wellenförmige rhythmische Regelmäßigkeiten, welche auf die Stimmungsalge wirken – bis heute keinerlei wissenschaftliche Faktenlage gibt, ist sie für die Forschung auch nicht von Relevanz.4

Im Gegensatz dazu wird im Zuge der Chronobiologie die individuelle Zeitstruktur von Lebewesen erforscht –5 in Bezug auf uns Menschen „die natürlichen Schwankungen der Körperfunktionen“6. Bekannt sind hierbei vor allem der Schlaf-Wach-, Körpertemperatur-, Essens- und Trinkrhythmus sowie der Aktivitätszyklus, außerdem die Rhythmik von Hormonen in Bezug auf Produktion und Abbau. Innerhalb von 24 Stunden ist der Körper damit verschiedensten Rhythmen unterworfen, die im Normalfall kontinuierlicher und wiederkehrender Natur sind. Gesteuert werden diese Vorgänge durch einen Nervenkern im Gehirn, der vor allem auf Lichtunterschiede reagiert.7

Rhythmische Konstanz

Unsere innere Uhr bestimmt also vorwiegend, wann wir besondere Leistungshochs haben und wann unser Körper erschöpft ist und nach Schlaf verlangt. Mittels Untersuchungen konnte bereits festgestellt werden, dass in einem etwa 4-Stunden-Rhythmus das Schlafbedürfnis größer wird und die Leistungskurve sinkt, genauer um etwa 10:00 Uhr morgens, um 14:00 Uhr und um 18:00 Uhr.8

Auch unsere Körpertemperatur passt sich diesem Zyklus an: „Je nach Körpertemperatur ticken wir unterschiedlich schnell“9, erklärt Scott Campbell, Chronobiologe an der Cornell University in den USA. Die Körpertemperatur schwankt während des Tages bis zu einem halben Grad: Am frühen Morgen beim Aufstehen steigt sie mit gleichzeitiger Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol an, was dafür sorgt, dass wir munter werden. Am Nachmittag sinkt sie ab, womit auch die Leistungskurve einbricht, und fällt nach einem weiteren Temperaturanstieg abends vor dem Schlafengehen wieder.10 „Danach setzt das Schlafbedürfnis ein“11, so Campbell. Wenn die Körpertemperatur schließlich ihren Tiefpunkt gegen 03:00 Uhr morgens erreicht, nehmen wir die Müdigkeit am stärksten wahr.12

Die angeborenen Schlafgewohnheiten bestimmen die innere Uhr

Unterschieden wird in der Chronobiologie zwischen den Morgenmenschen, den sogenannten ‚Lerchen‘, und den Abendmenschen, den ‚Eulen‘: Während ersterer Typus (vor allem ältere Menschen) morgens aktiv ist, dafür abends das Schlafbedürfnis früher einsetzt, werden die ‚Eulen‘ (hauptsächlich Jugendliche) nach dem Aufstehen von Müdigkeit geplagt und benötigen in der Regel auch mehr Schlaf als die Lärchen-Typen. Abends werden sie schließlich munter und verspüren erst spät einen Schlafdrang.13 Morgen- und Abendmenschen gibt es gleichermaßen relativ ausgewogen, genauso aber auch eine Vielzahl an Personen, die weder dem einen noch dem anderen Chronotypus, sondern eher einer Mischform aus beiden zugeordnet werden können.14

Von großer Wichtigkeit ist es aber, das Schlafbedürfnis und andere Tagesrhythmen nicht langfristig zu ignorieren bzw. diesen entgegenzusteuern, denn ansonsten drohen spürbare Folgen den Körper und die Seele betreffend.

Ein Arbeiten gegen die innere Uhr kann gefährlich werden

Zwar schafft es unser Körper, kleine Veränderungen zu kompensieren bzw. sich diesen anzupassen – beispielsweise verspüren einige Menschen nach der Zeitumstellung eine Art kurzfristigen Jetlag –, aber werden die individuellen Bedürfnisse auf Dauer ignoriert, können Schlafstörungen, allgemeiner Leistungsabfall mit nachlassender Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie eine verminderte Reaktion auftreten.15 Und Störungen bzw. Erkrankungen die Psyche betreffend wie beispielsweise Verstimmungen bis hin zu Depressionen treten vermehrt auf, wenn der innerkörperliche Tagesrhythmus fortwährend missachtet wird.16

Schlafrhythmen sind wesentlich für die physische und psychische Gesundheit

Hinsichtlich der zuvor erwähnten chronobiologischen Schlaftypen zeigte eine britische Langzeitstudie auf, dass vor allem Abendmenschen häufiger körperliche oder psychische Erkrankungen entwickeln als Morgenmenschen: Demnach ernähren sich Abendmenschen weniger gesund und leiden häufiger an Magen-Darm-Erkrankungen sowie Diabetes. Ausgegangen wird davon, dass dies mit einer Störung der Melatoninproduktion im Zusammenhang steht, denn Abendmenschen würden sich vermehrt künstlichen Lichtquellen aussetzen, was zu einer Insulinresistenz und in weiterer Folge zu Diabetes führen kann. Zudem waren psychische Krankheiten wie Depressionen und Abhängigkeitserkrankungen unter den ‚Eulen‘ fast doppelt so stark verbreitet wie unter den ‚Lärchen‘. Angenommen wird, dass der vom üblichen Tageszyklus abweichende Schlafrhythmus dafür verantwortlich ist.17

Und auch die allgemeine Gefühlslage bei ‚Nachteulen‘ scheint gemäß einer weiteren Untersuchung instabiler zu sein als jene von ‚Lärchen‘: Herausgefunden werden konnte nämlich, dass Nachtmenschen Gefühle häufiger unterdrücken, was zu einer Senkung des allgemeinen psychischen Wohlbefindens führt. Im Gegensatz dazu scheinen passionierte Frühaufsteher*innen über bessere Strategien zur Verarbeitung von Emotionen zu verfügen und empfinden belastende Situationen nicht immer als stressig, womit sie auch seelisch eher ausgeglichener sind.18

Gemäß den Ausführungen konnte deutlich gemacht werden, dass die innere Uhr eine wichtige Rolle hinsichtlich der körperlichen und psychischen Gesundheit spielt. Denn eine Missachtung der chronobiologischen Rhythmen bringt nicht nur körperliche Erschöpfungssymptome bis hin zu schweren Erkrankungen mit sich, sondern beeinflusst auch das seelische Wohlbefinden negativ. Deswegen sollten die individuellen Bedürfnisse vor allem hinsichtlich des nächtlichen Schlafes nicht dauerhaft ignoriert werden. Denn nur auf diese Art und Weise bleiben die natürlichen, wiederkehrenden Funktionen sämtlicher endogener Vorgänge im Takt der inneren Uhr – und so auch das körperliche und seelische Wohlbefinden.

 


1 Vgl. Kompaktlexikon der Biologie: innere Uhr. In: spektrum.de.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/innere-uhr/5944 [Stand: 08.03.2022] und vgl.

2 Vgl. Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr. In: gesundheit.de. Veröffentlicht am 20.10.2016.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

3 Vgl. Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

4 Vgl. Lexikon der Psychologie: Biorhythmus. In: spektrum.de.
URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/biorhythmus/2457 [Stand: 08.03.2022].

5 Vgl. Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

6 Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

7 Vgl. Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

8 Vgl. Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr. In: geo.de.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022].

9 Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022].

10 Vgl. Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022].

11 Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022].

12 Vgl. Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022].

13 Vgl. Weber, Andreas: Die unerbittliche innere Uhr.
URL: https://www.geo.de/wissen/13369-rtkl-biorhythmus-die-unerbittliche-innere-uhr [Stand: 10.03.2022] und
vgl. BR Wissen: Leben gegen die innere Uhr. In: br.de. Veröffentlicht am 17.06.2020.
URL: https://www.br.de/wissen/chronobiologie-gesundheit-folgen-innere-uhr-biorhythmus-schlaf-100.html [Stand: 10.03.2022].

14 Vgl. Knab, Barbara: Na, sind Sie mehr Eule oder Lerche? In: zeit.de. Veröffentlicht am 16.06.2018.
URL: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-05/schlaf-eule-lerche-schlaftypen-fruehaufsteher-nachtmensch-schlafforschung-chronobiologie/komplettansicht [Stand: 10.03.2022].

15 Vgl. BR Wissen: Leben gegen die innere Uhr. In: br.de. Veröffentlicht am 17.06.2020.
URL: https://www.br.de/wissen/chronobiologie-gesundheit-folgen-innere-uhr-biorhythmus-schlaf-100.html [Stand: 10.03.2022].

16 Vgl. Reiche, Dagmar: Biorhythmus – Die innere Uhr.
URL: https://www.gesundheit.de/medizin/psychologie/zeit-und-rhythmus/biorhythmus-die-innere-uhr [Stand: 08.03.2022].

17 Vgl. o.A.: Morgenmenschen leben länger. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 05.06.2018.
URL: https://www.spektrum.de/magazin/morgenmenschen-leben-laenger/1567038 [Stand: 10.03.2022].

18 Vgl. Mocker, Daniela: Nachteulen habe ihre Gefühle schlechter im Griff. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 24.04.2020.
URL: https://www.spektrum.de/news/nachteulen-haben-ihre-gefuehle-schlechter-im-griff/1726694 [Stand: 11.03.2022].

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 30.03.2022