Berauschendes Hoch, niederschmetterndes Tief – Die heimtückische Krankheit bipolare Störung

 

Mit Stimmungsschwankungen kämpfen alle Menschen im Laufe ihres Lebens, jedoch können diese auch in einem ungesunden Ausmaß auftreten, wie es bei der bipolaren Störung der Fall ist.

An manchen Tagen hat man das Gefühl, Bäume ausreißen zu können. Man verfügt über viel Energie, fühlt sich beschwingt und glücklich. Dann gibt es aber wieder solche Tage, an welchen man sich am liebsten einfach nur unter der Decke verkriechen möchte, weil man antriebslos oder auch traurig ist.

Solche wechselnden Gefühlszustände treffen uns alle irgendwann das ein oder andere Mal. Entsprechen sie aber einem übertriebenen Ausmaß und umfassen sie zudem einen längeren Zeitraum, so können sie auch Anzeichen für eine schwerwiegende Erkrankung sein, denn Stimmungsschwankungen sind wesentliches Merkmal einer bipolaren Störung.

Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Diese psychische Erkrankung kennzeichnet sich nämlich durch sogenannte manische, hypomanische und depressive Episoden, die im Normalfall stets aufeinander folgen.1 Dabei weist jede Phase andere Merkmale auf:2

  • Manische Episode mit einer Dauer von ca. 1 Woche und länger
    Betroffene fallen in dieser Phase unter anderem durch eine oftmals unangemessene oder auffällig gehobene Stimmung auf. Sie zeigen einen gesteigerten Antrieb, obwohl sie gleichzeitig weniger schlafen. Außerdem sind sie schneller abgelenkt, leiden unter Denkstörungen und Wahn bis hin zu Halluzinationen und verfügen in dieser Episode über eine niedrigere soziale Hemmschwelle.
  • Hypomanische Episode mit einer Dauer von ca. 4 Tagen oder mehr
    In dieser Phase legen Betroffene ein ähnliches Verhalten wie bei der manischen Episode an den Tag, jedoch in einem abgeschwächten Ausmaß. Nun treten vor allem Konzentrationsschwierigkeiten oder häufige Gedankensprünge auf.
  • Depressive Episode mit einer Dauer von ca. 2 Wochen oder länger
    Schließlich stellt sich die depressive Phase ein: Betroffene zeigen Antriebslosigkeit und einen verminderten Appetit, sind in ihrer Stimmung getrübt und leiden unter Schlafstörungen. Sozialer Rückzug sowie der Verlust an Interessen sind weitere Kennzeichen dieser Episode. Vermehrt treten jetzt auch Suizidgedanken auf.

Zuletzt gibt es auch eine Mischform zwischen der (hypo-)manischen und depressiven Phase, die sogenannte affektive Episode. Sie dauert in der Regel 2 Wochen oder länger und kennzeichnet sich durch einen (schnellen) Wechsel der oben angeführten Episoden.3

Ob nun Stimmungsschwankungen oder doch eine ernsthafte Krankheit – wie unterscheidet man diese beiden voneinander? Die an bipolarer Störung erkrankte Psychiaterin Astrid Freisen aus Frankfurt am Main berichtet darüber, wie sie die Zeit vor der Diagnose erlebt und schließlich selbst gemerkt hat, dass eine Krankheit hinter dem veränderten Verhalten stecken könnte: „Ich hatte immer wieder Depressionen, während ich im Sommer gut drauf war, viel gefeiert und wenig geschlafen habe. Ein paar Jahre später […] wurde es dann viel schlimmer“4, so die Gründerin des ‚Referates für Betroffene Profis‘ bei der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen. „Ich wurde reizbar, nicht mehr erreichbar für mein Umfeld, habe viel Geld ausgegeben. Da hat ein Anteil von mir gesagt, das ist nicht normal“5. Und dann besteht auch sofortiger Handlungsbedarf.

Weil die bipolare Störung eine ernstzunehmende Krankheit darstellt, sollte eine adäquate Therapie schnellstmöglich eingeleitet werden. Deswegen ist es auch von Wichtigkeit, entsprechend den angeführten Phasen darauf zu reagieren, wenn Personen im näheren Umfeld Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die eigentlich nicht ihrem üblichen Naturell entsprechen. Vermehrt beobachtet sollten Personen werden, in deren Angehörigenkreis die Krankheit bereits diagnostiziert wurde oder die selbst im Kindes- oder Jugendalter an einer schweren Depression gelitten haben.6

Ohne Behandlung sinkt nämlich die Chance auf ein ‚normales‘ Leben.

Denn eine bipolare Störung zieht ohne Behandlung häufiger eine Suizidabsicht nach sich. Speziell bei dieser Krankheit ist das Risiko, durch einen Suizid zu sterben, um ca. 20 % im Vergleich zu gesunden Menschen erhöht – etwa 60 % bis 70 % aller Betroffenen unternehmen zumindest den Versuch.7

Wichtig ist es deswegen, dass entsprechende Verhaltensauffälligkeiten schnellstmöglich medizinisch abgeklärt werden, denn ohne eine adäquate Behandlung leiden Betroffene zudem unter folgenreichen psychosozialen Problemen wie beispielsweise vorübergehender Arbeitsunfähigkeit bis hin zu Frühpension in einem Durchschnittsalter von 42 Jahren.8 Umso wichtiger ist es, eine Diagnose ehestmöglich zu stellen, damit eine Behandlung eingeleitet werden kann, die in der Regel eine Kombination aus Psychotherapie und der medikamentösen Therapie9 umfasst.10

Angehörigen nehmen dabei gleichfalls einen wichtigen Stellenwert ein.

Bei der Behandlung von Menschen mit bipolarer Störung wird der sogenannte Trialog zunehmend relevanter: Hierbei werden therapeutische Maßnahmen nicht nur zwischen betroffener Person und professionell Ausgebildeten gesetzt, sondern Angehörige werden dabei aktiv miteinbezogen. Ziel ist es, familiäre und individuelle Ressourcen besser nutzen zu können.11 Ebenso ist es für Angehörige hilfreich, mehr über die Erkrankung in Erfahrung zu bringen, um in den entsprechenden Episoden richtig zu reagieren, aber auch um sich selbst wiederum bestmöglich zu schützen, denn speziell „die manischen Phasen sind schwer zu ertragen, weil die Angehörigen häufig von den Manikern angefeindet werden, da sie ‚ihr Glück bremsen‘“12, wie Freisen erzählt. Sie empfiehlt, dass in stabilen Phasen erörtert und gemeinsam besprochen sowie dann auch schriftlich festgehalten werde, was in entsprechenden Situationen zu tun sei.13 Auf diese Art und Weise unterstützen sich Betroffene und Angehörige auch gegenseitig und lernen gemeinsam, einen besseren Umgang mit der Erkrankung zu pflegen.

Wie können manische und depressive Episoden im Idealfall abgeschwächt werden?

Damit ein möglichst langer Zeitraum zwischen den einzelnen Krankheitsphasen entsteht bzw. diese auch nur in einer milderen Form auftreten, empfiehlt Freisen das Vermeiden von Stress sowie das Schaffen von ausgleichenden Tätigkeiten wie Meditation oder Sport. Auch geregelte Schlafenszeiten seien für Menschen mit bipolarer Störung von äußerster Wichtigkeit.14

Im Vordergrund steht jedoch die frühe Erkennung der Erkrankung, damit Betroffene auch medikamentös eingestellt werden und die notwendige therapeutische Behandlung bekommen. Und obwohl diese Krankheit sowohl für Betroffene als auch Angehörige eine große Herausforderung darstellt, so können doch wirksame Maßnahmen gesetzt werden, um gemeinsam die Symptome der erkrankten Person zu lindern und um einen relativ normalen und ausgeglichenen Alltag zu bestreiten.

 


1 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Bipolare Störung: Symptome & Diagnose. Zuletzt aktualisiert an 30.09.2016.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/depression/bipolare-stoerung-symptome [Stand: 22.04.2021].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Bipolare Störung: Symptome & Diagnose.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/depression/bipolare-stoerung-symptome [Stand: 22.04.2021].

3 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Bipolare Störung: Symptome & Diagnose.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/depression/bipolare-stoerung-symptome [Stand: 22.04.2021].

4 Hickmann, Meike: Profis mit Bipolarer Störung – „Mehr Empathie für Patienten“. Interview mit Astrid Freisen. In: ZDF.de. Veröffentlicht am 04.04.2021.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bipolare-stoerung-betroffene-psychiaterin-100.html [Stand: 22.04.2021].

5 Hickmann, Meike: Profis mit Bipolarer Störung – „Mehr Empathie für Patienten”.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bipolare-stoerung-betroffene-psychiaterin-100.html [Stand: 22.04.2021].

6 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Bipolare Störung: Symptome & Diagnose.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/depression/bipolare-stoerung-symptome [Stand: 22.04.2021].

7 Vgl. Trapper, Natalie: Wenn Stimmungsschwankungen krankhaft sind. In: MDR AKTUELL. Veröffentlicht am 30.03.2021.
URL: https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/tabubruch-bipolare-stoerung-100.html [Stand: 22.04.2021].

8 Vgl. red: Bipolar: Auch Familie als Ressource in der Therapie. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 08.07.2019.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000106049002/bipolar-auch-familie-als-ressource-in-der-therapie [Stand: 22.04.2021].

9 Bei dieser Krankheit wird vor allem mit sogenannten Stimmungsstabilisatoren gearbeitet. Diese verhindern extreme manische und depressive Phasen. Vgl. dazu: Erste Hilfe für die Seele: Bipolare Störung.
URL: https://www.erstehilfefuerdieseele.at/info/krankheitsbilder/bipolar/ [Stand: 22.04.2021].

10 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Bipolare Störung: Therapie. Zuletzt aktualisiert am 30.09.2016.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/psyche/depression/bipolare-stoerung-therapie [Stand: 22.04.2021].

11 Vgl. red: Bipolar: Auch Familie als Ressource in der Therapie. URL: https://www.derstandard.at/story/2000106049002/bipolar-auch-familie-als-ressource-in-der-therapie [Stand: 22.04.2021].

12 Hickmann, Meike: Profis mit Bipolarer Störung – „Mehr Empathie für Patienten”.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bipolare-stoerung-betroffene-psychiaterin-100.html [Stand: 22.04.2021].

13 Vgl. Hickmann, Meike: Profis mit Bipolarer Störung – „Mehr Empathie für Patienten”.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bipolare-stoerung-betroffene-psychiaterin-100.html [Stand: 22.04.2021].

14 Vgl. Hickmann, Meike: Profis mit Bipolarer Störung – „Mehr Empathie für Patienten”.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/bipolare-stoerung-betroffene-psychiaterin-100.html [Stand: 22.04.2021].

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Veröffentlicht am: 26.05.2021