Angstfaktor Mensch – die soziale Phobie

 

Wir alle machen uns Gedanken darüber, wie wir auf andere Menschen wirken, wie sie uns wahrnehmen, was sie über uns denken. Bei Menschen mit sozialer Angst ist dies so stark ausgeprägt, dass sie es gänzlich vermeiden, mit anderen in Kontakt zu treten – mit weitreichenden Folgen.

Ein wichtiger Termin mit der Chefin macht uns unruhig und nervös, vor einer Präsentation bekommen wir schweißnasse Hände und auf einer Veranstaltung stehen wir schüchtern abseits des Geschehens, weil wir niemanden kennen. Und obwohl wir uns in all diesen Situationen unwohl fühlen und sie uns zum Teil auch unangenehm sind, setzen wir uns ihnen immer wieder bewusst aus – wir wollen immerhin am sozialen Leben, ob in beruflicher oder privater Hinsicht, teilhaben. Wenn allerdings die Angst davor, mit anderen Menschen zusammenzutreffen und dabei unangenehm aufzufallen, überhandnimmt, dann kann dies Anzeichen einer Angsterkrankung sein.

Angst vor der Aufmerksamkeit anderer

Konkret handelt es sich dabei um die sogenannte soziale Phobie, „die Angst, sich in Situationen mit anderen Menschen übermäßig zu blamieren“1, erklärt Ulrich Stangier, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Goethe-Universität Frankfurt. Man fürchte sich, so eine weiterführende Erläuterung von Dietrich Munz, Psychotherapeut und Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, „negativ bewertet oder kritisiert zu werden“2. Folge der Erkrankung ist, „dass gesellige Treffen wie das Essen mit Freunden immense Angst verursachen und deshalb manchmal sogar vermieden werden“3, wie Munz ausführt. Im Generellen ist diese Form der Angsterkrankung eine der häufigsten: Ausgegangen wird davon, dass bis zu
13 % aller Menschen im Laufe des Lebens einmal an der sozialen Phobie erkranken, womit sie nach der Depression und der Alkoholabhängigkeit als dritthäufigste Störung genannt wird.4

Nicht zu verwechseln ist die soziale Phobie mit der verbreiteten Charaktereigenschaft der Schüchternheit, denn diese wird durch die wiederholte soziale Interaktion mit Mitmenschen abgebaut. Die soziale Phobie weist hingegen ausgeprägte und langanhaltende Symptome auf, die ohne entsprechende Behandlung nicht verschwinden.5

Symptomatik

Diese Angsterkrankung äußerst sich durch innerphysische Vorgänge, die in entsprechenden Situationen auftreten, beispielsweise durch Erröten, Zittern oder Herzrasen. Auch Übelkeit, ein vermehrter Harndrang bis hin zu Durchfall können Anzeichen einer sozialen Phobie sein. Konkret haben Betroffene Angst davor, von anderen Menschen (prüfend) betrachtet zu werden, in der Öffentlichkeit zu sprechen oder zu essen und sich mit Personen anderen Geschlechts zu verabreden. Die Angstgefühle gehen so weit, dass Ohnmachtsanfälle und Panikattacken drohen und vermeidende Muster – der bereits angeführte soziale Rückzug – erlernt werden.6

Auch die betroffene Sabine weiß noch genau, wann sie erste Krankheitsanzeichen – in der Schule – entwickelt hat: „Ich hatte ein sehr negatives Selbstbild zu der Zeit“7, so ihre Selbstreflexion. Weil die Angst, von Mitschüler*innen ausgelacht oder abgelehnt zu werden, übermäßig groß gewesen sei, habe sie sich von der Gemeinschaft zurückgezogen „und im Grunde nie etwas vor der Klasse gesagt“8. Als besonders schlimm habe sie ihre Studienzeit in Erinnerung, denn damals habe sie sich „noch nicht mal mehr in den Hörsaal getraut“9.10 Doch wie entsteht eine solche Angst vor der sozialen Interaktion mit anderen Menschen, wie sie Sabine beschreibt, überhaupt?

Ursachenforschung

Die Wissenschaft ist sich dahin gehend einig, dass mehrere Faktoren zusammenwirken müssen und keine einzige Ursache hinter der Entstehung der Erkrankung steckt. Zunächst spielt der familiäre Aspekt eine gewichtige Rolle: Kinder lernen von ihren Eltern, im Umgang mit anderen Menschen vorsichtig und zurückhaltend zu sein, vielleicht sogar mit Ängstlichkeit gegenüber Fremden zu reagieren. Dadurch ergibt sich ein negatives Bild von sich selbst und von der Umwelt im Allgemeinen. Dieses negative Selbstbild ist wesentlich für Betroffene: Durch einen zu hohen, übersteigerten Anspruch an sich selbst glauben sie, dass auch die Mitmenschen ebenjenen Maßstab an andere legen. Weil man diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht werden kann, schwindet das Selbstbewusstsein.11

Einzelne Lebensabschnitte, vor allem die Pubertät, begünstigen auch die Entstehung einer sozialen Phobie. Zwangsläufig machen Jugendliche negative soziale Erfahrungen, aber gerade in dieser Entwicklungsphase ist es besonders wichtig, anerkannt zu werden und sich zu integrieren. Entsprechende Problemsituationen können Angst schüren und sie verstärken. Diesbezüglich spielt ein weiterer Aspekt, das erlernte Verhalten, eine entscheidende Rolle: Vermeidet man Situationen, die Symptome der Angst erzeugen können, verschwindet die Furcht davor. Weil diese Strategie scheinbar erfolgreich ist, geht man diesen Situationen zunehmend aus dem Weg. Setzt man sich hingegen den Begebenheiten aus, reagiert der Körper mit den bereits angeführten Symptomen, wodurch sich Betroffene in der Angst bestätigt fühlen, bis die Erkrankung schließlich chronisch wird.12

Häufig bleibt es nicht nur bei der Angsterkrankung

Aufgrund dieses erlernten Vermeidungsverhaltens und der daraus resultierenden sozialen Isolation ist die Alltagsbestreitung häufig kaum erfüllend: „Meiden von sozialen Situationen ist für die Betroffenen immer mit Nachteilen verbunden. Sie machen im Berufsleben zum Beispiel weniger häufig Karriere, weil sie Beförderungen ausschlagen, und sie haben auch weniger häufig eine feste Partnerschaft“13, so Stangier. Auch Sabine kann dies vor allem in beruflicher Hinsicht bestätigen: „Schon nach wenigen Wochen wollte ich wieder kündigen“14, weil sie an ihren Fähigkeiten gezweifelt habe und ihr ständig übel gewesen sei.15 Und eine auf die soziale Phobie zurückführbare Alltagseinschränkung erhöht zudem das Risiko, psychische Folgeerkrankungen wie Depressionen, andere Angsterkrankungen, Süchte sowie somatoforme Störungen zu entwickeln.16 Somit ist es unabdingbar, eine soziale Phobie mithilfe von professioneller Unterstützung zu behandeln.

Vielfältiger Behandlungsansatz

Bewährt hat sich vor allem im Bereich der Psychotherapie ein verhaltenstherapeutischer Ansatz. Dabei lernen Patient*innen gemeinsam mit der*dem Psychotherapeut*in im Zuge einer Konfrontationstherapie, schwierige Situationen zu meistern sowie sich den Ängsten zu stellen. Sie werden „[s]chrittweise […] gedanklich und dann real an die gefürchteten oder von ihm vermiedenen Situationen herangeführt“17, so Peter Zwanzger, Experte für Angst- und Panikerkrankungen sowie Ärztlicher Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums. Munz ergänzt, dass dadurch die Erfahrung gemacht werden könne, „dass schlimme Befürchtungen wie „Alle werden merken, dass ich knallrot werde.“ oder „Ich werde bei meinem Vortrag ausgelacht werden.“ meist unbegründet sind“18.

Ergänzend dazu empfehlen Expert*innen weitere Maßnahmen zur Linderung der Symptome bzw. zum Überwinden der Erkrankung, beispielsweise Entspannungs- oder Achtsamkeitstraining oder die Teilnahme an sport- und bewegungstherapeutischen Angeboten. Auch Einzel- oder Gruppentherapien sowie Gruppentrainings im Bereich der sozialen Kompetenz unterstützen Betroffene bei der Krankheitsbewältigung.19 Sabine hat sich außerdem für die Gründung einer Selbsthilfegruppe entschieden und erfährt von den Teilnehmenden Verständnis für ihre Situation: „Es hat mir sehr geholfen, mit anderen zu sprechen, die einen verstehen. Niemand verurteilt einen. So hat sich nicht nur Vertrauen aufgebaut, es haben sich auch echte Freundschaften entwickelt“20. Mittlerweile gelingt ihr auch die Alltagsbewältigung gut, denn sie hat sich ihren Arbeitskolleg*innen anvertraut und auch dort Unterstützung erfahren. Ihren festen Platz hat sie im Team gefunden und erhält Anerkennung und Bestätigung.21

Gemäß den Ausführungen bedeutet die Diagnose soziale Phobie für viele eine massive Einschränkung im beruflichen wie auch privaten Alltag mit einem hohen Risiko, Folgeerkrankungen zu entwickeln, weswegen es von Notwendigkeit ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Vordergrund steht, im Zuge einer umfassenden Therapie einen adäquaten Umgang mit der Erkrankung zu erlernen. Nicht nur Akzeptanz sowie die Steigerung des Selbstbewusstseins sind elementare Ziele einer therapeutischen Behandlung, sondern vor allem die Reduktion der Symptome auf ein Minimum. Durch diese direkte Konfrontation mit der Erkrankung gelingt es schließlich auch, am sozialen Leben teilzuhaben, dieses bestenfalls auch genießen zu können.

 


1 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“. In: spiegel.de. Veröffentlicht am 22.07.2016.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

2 dpa / tmn: Die Furch vor den Blick der anderen. In: zeit.de. Veröffentlicht am 15.07.2020.
URL: https://www.zeit.de/news/2020-07/15/die-furcht-vor-den-blicken-der-anderen [Stand: 18.01.2023].

3 dpa / tmn: Die Furch vor den Blick der anderen.
URL: https://www.zeit.de/news/2020-07/15/die-furcht-vor-den-blicken-der-anderen [Stand: 18.01.2023].

4 Vgl. o.A.: Soziale Phobie. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 09.09.2014.
URL: https://www.spektrum.de/ratgeber/soziale-phobie/986855 [Stand: 18.01.2023].

5 Vgl. Schön Klinik Gruppe: Soziale Phobie. In: schoen-klinik.de.
URL: https://www.schoen-klinik.de/soziale-phobie [Stand: 18.01.2023].

6 Vgl. Schön Klinik Gruppe: Soziale Phobie.
URL: https://www.schoen-klinik.de/soziale-phobie [Stand: 18.01.2023].

7 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

8 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

9 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

10 Vgl. Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

11 Vgl. o.A.: Soziale Phobie.
URL: https://www.spektrum.de/ratgeber/soziale-phobie/986855 [Stand: 18.01.2023].

12 Vgl. o.A.: Soziale Phobie.
URL: https://www.spektrum.de/ratgeber/soziale-phobie/986855 [Stand: 18.01.2023].

13 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

14 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

15 Vgl. Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

16 Vgl. Oberberg: Soziale Phobie, Isolation und ihre Folgen: Risikofaktor für psychische Krankheiten. In: oberbergkliniken.de.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/soziale-phobie-isolation-und-ihre-folgen-risikofaktor-fuer-psychische-krankheiten#c5144 [Stand: 18.01.2023].

17 dpa / tmn: Die Furch vor den Blick der anderen.
URL: https://www.zeit.de/news/2020-07/15/die-furcht-vor-den-blicken-der-anderen [Stand: 18.01.2023].

18 dpa / tmn: Die Furch vor den Blick der anderen.
URL: https://www.zeit.de/news/2020-07/15/die-furcht-vor-den-blicken-der-anderen [Stand: 18.01.2023].

19 Vgl. Schön Klinik Gruppe: Soziale Phobie.
URL: https://www.schoen-klinik.de/soziale-phobie [Stand: 18.01.2023].

20 Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

21 Vgl. Fricke, Mira / dpa: „Mir wurde auf der Arbeit übel“.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-angst-mir-wurde-auf-der-arbeit-uebel-a-1104346.html [Stand: 18.01.2023].

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 08.02.2023