Angewohnheiten mit Suchtpotenzial – Wie die Krise unsere Laster beeinflusst

 

Welche Auswirkungen die COVID-19-Krise auf unser psychisches Wohlbefinden hat, wurde bereits vielfach diskutiert und dargelegt. Aber auch hinsichtlich Abhängigkeiten lässt sich schon jetzt ein eindeutiges Bild feststellen.

Seit einem Jahr wird unser Alltag von der Corona-Pandemie beeinflusst: Physical Distancing, das Verweilen in den eigenen vier Wänden und diverse Schutz- und Hygienemaßnahmen sind schon zur Gewohnheit geworden.

Natürlich intensiviert dieser neue Lebensstil Beziehungen im Familienkreis oder begünstigt auch eine bewusstere Ernährungsweise durch die Freude am täglichen Kochen. Aber auch negative Gepflogenheiten können zutage treten, denn der intensivere Kontakt zu jenen Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, bedeutet auch, mögliche Charaktereigenschaften zu entdecken, die zuvor nicht in diesem Ausmaß wahrgenommen wurden. Und auch in Bezug auf Ernährung stehen nicht immer nährstoffreiche Nahrungsmittel auf dem Speiseplan, sondern oftmals auch Tiefkühl-Kost und Fast Food. Vor allem aber hinsichtlich des Lebensstils können solche Laster zu einem Problem werden.

Denn der neue Alltag hat auch Auswirkungen auf unser Abhängigkeitspotenzial.

Wenn man nämlich vor der Krise bereits das ein oder andere Glas Wein genossen oder dem Laster des Rauchens gefrönt hat, kann sich der Konsum der Genussmittel durch die Krise massiv wandeln – und zwar negativ. Und genau solche stärker auftretenden Gewohnheiten waren auch Gegenstand einer vor Kurzem vorgestellten Bevölkerungsumfrage1: Zwischen April und Juni des vergangenen Jahres befragte das Kompetenzzentrum Sucht der Gesundheit Österreich GmbH des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz rund 6.000 Österreicher*innen nach den persönlicher Abhängigkeiten und nach veränderten Verhaltensweisen während des 1. Lockdowns. Speziell im Fokus lagen dabei der Konsum von Alkohol, Tabakprodukten, illegalen Substanzen sowie Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Auch das Eruieren einer vermehrten oder verminderten Nutzung von Glücksspiel und Computerspielen war Teil der Untersuchung.2

Das Ergebnis dieser Umfrage präsentiert ein zweigeteiltes Bild: Die Mehrheit gab an, kein verändertes Verhalten im Umgang mit psychoaktiven Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie Cannabis aufzuweisen. Beim Glücksspiel konnte gemäß den Daten sogar ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden.3

13 % aller Befragten berichteten jedoch von einer deutlichen Zunahme: Ganze 32 % davon spielten zu diesem Zeitpunkt häufiger Computerspiele, 17 % haben mehr geraucht, 14 % mehr Cannabis konsumiert, 13 % mehr Alkohol getrunken, 8 % öfter Schlaf- und Beruhigungsmittel eingenommen und 4 % häufiger an Glücksspielen teilgenommen.4 Diesbezüglich gaben vermehrt Frauen an, mehr Alkohol, Tabak sowie Schlaf- und Beruhigungsmitteln konsumiert zu haben, was darauf hinweisen könnte, dass Frauen zu diesem Zeitpunkt stärkere Belastungen verspürt haben.5

Wie kann dieses veränderte Verhalten noch erklärt werden?

Der Grund, warum vor allem Videospiele häufiger genutzt wurden, kann vor allem mit einem Mehr an Freizeit in Zusammenhang gebracht werden. Stress sowie anhaltende Belastung sind generelle Erklärungsversuche des veränderten Verhaltens.6 Jene Befragten, die ihren Konsum eingeschränkt hatten, erklärten dies mit dem fehlenden Sozialleben, was darauf schließen lässt, dass Substanzen wie Alkohol oder Cannabis vor allem in Gesellschaft konsumiert werden.7

Die Pandemie birgt jedoch ein nachhaltiges Risiko in Sachen Sucht und Abhängigkeit.

Denn beim Lockdown im vergangenen Frühjahr blieb es nicht; nach einem Jahr blicken wir auf anhaltende Be- und Einschränkungen zurück – und derzeit ist auch noch kein Ende in Sicht. Der Geschäftsführer der Psychosozialen Dienste Wien, Dr. Georg Psota, prophezeit, dass die Pandemie „auf jeden Fall einen Nachhall haben“8 werde. Und internationale Studien belegen, dass mit zunehmender Dauer von Krisensituationen auch psychische Erkrankungen stark ansteigen,9 damit auch Suchterkrankungen: Die breite Auswirkung der Pandemie auf das Suchtverhalten und auf Abhängigkeitserkrankungen wird „aber erst zeitverzögert eintreten und in den nächsten Jahren neue Herausforderungen für die Behandlung darstellen“10.

Wenn bereits die breite Bevölkerung unter der Pandemie leidet und ein stärkeres Suchtverhalten zeigt, so gestaltet sich die anhaltend belastende Situation für Menschen, welche bereits an einer Abhängigkeitserkrankung leiden, noch viel schwieriger. Gerade sie sind wegen eines geschwächten Immunsystems und möglicher zusätzlicher Vorerkrankungen besonders gefährdet, einen Rückfall zu erleiden.

Wie kann demnach ein vermehrter Konsum wieder eingeschränkt werden und welche Möglichkeiten reduzieren das erhöhte Risiko eines Rückfalls?

Von großer Wichtigkeit sei hier ein stabiles soziales Netzwerk, also die Pflege der Kontakte zu Freund*innen und Familie, so Martin Lison, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost. Auch das Aufsuchen von entsprechenden Beratungsstellen empfiehlt er, um eine mögliche Suchtgefahr abzuwenden oder einen Rückfall zu vermeiden.11 Des Weiteren solle der Fokus vermehrt auf Hobbys gelegt werden, denn „es gilt herauszufinden, was dem Einzelnen individuell Kraft gibt, das kann Gärtnern, Kochen, die Bewegung in der Natur oder die Beschäftigung mit Musik sein“12, wie Lison weiter ausführt. Auf diese Art und Weise können negative Angewohnheiten mit Suchtpotenzial umgangen bzw. durch sinnvolle Tätigkeiten ersetzt werden.

Obwohl die Aussichten, nach Ende der Pandemie wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren und süchtig machende Substanzen einfach wieder zu reduzierend bzw. komplett auf sie zu verzichten, gemäß den Ausführungen eher düster sind, so gilt es umso mehr, auch weiterhin positiv zu denken, das soziale Netzwerk zu pflegen und achtsam mit sich umzugehen.13 Und vor allem sollte bei einer beginnenden Abhängigkeit sowie bei bereits bestehenden Suchterkrankungen professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden, um Risikofaktoren zu reduzierend bzw. um sie aufzulösen. Diverse Anlaufstellen und Einrichtungen bieten in solchen Fällen eine wichtige Stütze und beraten hinsichtlich diverser Problematiken zu Abhängigkeit/Sucht:

Telefonseelsorge
Telefon: 142
kostenlose Beratung rund um die Uhr

Drogenberatung des Landes Steiermark
Telefon: +43 316 32 60 40
Erreichbarkeit von Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr sowie Montag bis Donnerstag von 17:00 bis 19:00 Uhr zum Ortstarif

b.a.s. – Steirische Gesellschaft für Suchtfragen
Telefon: +43 316 82 11 99
Terminvereinbarung täglich von 07:30 bis 18:00 Uhr

Psychosoziale Dienste
Ein vollständiges Adressverzeichnis aller steirischen psychosozialen Dienste finden Sie unter www.plattformpsyche.at »»

 


1 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien. Veröffentlicht am 02.02.2021.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

2 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Corona-Pandemie und Suchtmittelkonsum. Veröffentlicht am 05.02.2021.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/aktuelles/corona-suchtmittelkonsum [Stand: 17.02.2021].

3 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

4 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

5 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

6 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

7 Vgl. Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

8 Pucher, Johannes: Suchthilfe-Experten warnen vor Nachwirkungen der Corona-Krise. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 30.04.2020.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000116925974/suchthilfe-experten-warnen-vor-nachwirkungen-der-corona-krise [Stand: 17.02.2021].

9 Vgl. O.A.: Corona-Pandemie ist ein „Marathon“ für die Psyche. In: Kurier.at. Veröffentlicht am 17.01.2021.
URL: https://kurier.at/wissen/gesundheit/corona-pandemie-ist-ein-marathon-fuer-die-psyche/401158596 [Stand: 17.02.2021].

10 Kompetenzzentrum Sucht: Berauscht durch die Krise? Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien.
URL: https://jasmin.goeg.at/1555/ [Stand: 17.02.2021].

11 Vgl. Schuer, Sigrid: Mit Strategie gegen die Sucht. In: WESER-KURIER.de. Veröffentlicht am 25.10.2020.
URL: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-mit-strategien-gegen-die-sucht-_arid,1940802.html [Stand: 17.02.2021].

12 Schuer, Sigrid: Mit Strategie gegen die Sucht.
URL: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-mit-strategien-gegen-die-sucht-_arid,1940802.html [Stand: 17.02.2021].

13 Weitere hilfreiche Tipps für die Aufrechterhaltung des psychischen Wohlbefindens finden Sie auf der Website von pro mente austria »» in einer detaillierten Auflistung.

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 10.03.2021