Von Trauer überwältigt

 

Der Verlust einer nahestehenden Person und der Tod im Allgemeinen werden lange nicht thematisiert, aber wir alle werden damit im Laufe des Lebens konfrontiert. Wie gehen wir dann mit Trauer bestmöglich um? Folgt sie einem allgemeinen Schema? Und wann wird Trauer chronisch?

Unbändige Freude sowie glückliche Momente sind erstrebenswerte Bestandteile in der Lebensgestaltung. Was bewusst ausgeklammert wird, aber unweigerlich jede*n von uns trifft, sind Momente der Trauer und des Verlustes, vor allem dann, wenn nahe Angehörige sterben. Die Thematik rund um den Tod wird wissentlich tabuisiert, was jedoch dazu führt, dass im eintretenden Fall manche Menschen nicht wissen, wie sie mit der Trauer umgehen können bzw. auch müssen, um das eigene Leben wieder aktiv in die Hand zu nehmen… und um vor allem ernsten psychischen Erkrankungen vorzubeugen.

Richtig trauern – gibt es Allgemeinregeln?

Doch wie geht man mit dem Verlust eines geliebten Menschen adäquat um? „Trauer ist so individuell wie die Menschen selbst“1, so Nicole Friederichsen, Traumapädagogin und geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Bundesverband Trauerbegleitung e.V. Eine kürzere Trauerphase genauso wie eine längere sagen nichts über die Beziehung zwischen der hinterbliebenen und der verstorbenen Person aus, genauso wenig die Intensität der Trauer.2

Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Menschen für einen bestimmten, individuell unterschiedlichen Zeitraum unter massiver Trauer leidet, welche den Symptomen einer Depression ähnlich ist. Diese sollten nach einer gewissen Zeit nachlassen, bis die Bestreitung des Alltages schließlich wieder wie gewohnt erfolgen kann, obwohl nicht auszuschließen ist, dass es dabei zu Rückfällen kommt.3

Die 4 Phasen der Trauerbewältigung

Ganz konkret gibt es dazu als Orientierungshilfe ein Modell, welches die Trauerbewältigung abbildet:4

  • 1. Phase – Schock
    Zunächst stehen Hinterbliebene unter Schock und wollen die Situation nicht wahrhaben. Auch ein Gefühl von Lähmung ist kurz nach dem Verlust eines geliebten Menschen normal.
  • 2. Phase – Gefühlsausbruch
    Wird der Umstand realisiert, dass die geliebte Person nicht mehr zurückkommen wird, kommt es zu intensiven Gefühlsreaktionen wie Wut, Zorn, Angst oder auch Schuldgefühlen.
  • 3. Phase – Akzeptanz
    Die Ohnmacht lässt langsam nach und Erlebnisse im Alltag können wieder genossen werden, obwohl immer noch negative Gefühle deutlich wahrnehmbar sind.
  • 4. Phase – Neuorientierung
    Schließlich kann die Trauer überwunden werden, was nicht bedeutet, dass dem geliebten Menschen keine Gedanken mehr gewidmet werden. Erinnerungen lösen immer noch Trauer aus, aber gleichzeitig ist man zukunftsorientiert.

Unter Expert*innen ist man sich jedoch dahin gehend einig, dass nicht jede Phase klar voneinander abzugrenzen ist und so auch kein eindeutiges Ende einer bestimmten Phase ausgemacht werden kann.5 Betont wird vor allem eines – „[J]eder trauert anders“6, so der Berner Trauerforscher und Psychologe Hansjörg Znoj. Ergänzend dazu appelliert Rita Rosner, deutsche Trauerforscherin und Psychologin, dass es nur wichtig sei, „dass die Hinterbliebenen den Blick dabei nach innen richten, den Verlust akzeptieren, ihre Beziehung zum Verstorbenen verändern und dadurch wieder nach vorne schauen können“7. Denn wenn diese Akzeptanz nicht gegeben ist und der Tod der*des Angehörigen nicht adäquat verarbeitet werden kann, drohen ernstzunehmende psychische Erkrankungen.

Wenn Trauer in Krankheit mündet

In diesem Fall wird die Trauer zu einer chronischen Belastung: Die der Depression ähnlichen Symptome wie Lust- und Antriebslosigkeit, Anspannung sowie negative Gefühle verschwinden nicht mehr – die Trauerreaktion gerät außer Kontrolle. Zusammengefasst unter dem eigenständigen Krankheitsbild der ‚anhaltenden Trauerstörung‘ findet sie sich seit 2019 im Verzeichnis des ICD-118. Sie unterscheidet sich von der gängigen Trauer vor allem in der Intensität und der Dauer der Belastung und wird deswegen als „dauerhaft bestehende, intensive und beeinträchtigende Reaktion auf einen Verlust“9 definiert. Der normale Alltag kann nicht mehr bestritten werden und Gefühle wie emotionale Taubheit, Wut oder Verbitterung sind neben den depressiven Symptomen zu ständigen Begleitern geworden, wodurch die Trauer als krankhaft einzustufen ist.10 Von dieser pathologischen Form der Trauer sind in etwa 5 % bis 10 % der Menschen betroffen.11

In Fachkreisen werden die Vor- und Nachteile einer solchen anhaltenden Trauerstörung diskutiert, denn einerseits sollen Hinterbliebene nicht vorschnell als psychisch krank eingestuft werden, wenn der Verlust nicht adäquat verarbeitet werden kann. Andererseits ermöglicht diese Diagnose spezielle Therapieleistung bzw. eine Psychotherapie im Rahmen des Gesundheitssystems, wodurch sie für Betroffene auch leistbar wird. Und mittels dieser medizinischen Angebote wird auch gezielte Trauerarbeit in Zusammenarbeit mit einer*einem Professionist*in ermöglicht, die zum einen eine Reduktion der depressiven Symptomatik und zum anderen eine begleitende Neuorientierung sowie zukunftsgerichtete Alltagsgestaltung und Perspektive intendiert.12

Wie geht man mit dem Verlust eines geliebten Menschen richtig um?

Die meisten Trauernden durchleben jedoch im Großen und Ganzen die 4 Trauerphasen, die aber – wie angemerkt – keinem strengen Ablauf folgen. „Vielmehr ist es wichtig zu wissen, dass auch noch nach Monaten oder Jahren ein Tief erfolgen kann“13, wie Friederichsen betont. Im Generellen muss jede Person individuell für sich „einen Weg finden, den Verlust in sein Leben zu integrieren und zu begreifen, was da passiert ist“14, so ihre weitere Ausführung. Das richtige Trauern gibt es demnach nicht, jedoch können allgemeine Handlungsweisen Unterstützung dahin gehend bieten, einen für sich angemessenen Weg zu finden, mit dem Verlust umzugehen:15

  • Gefühle zulassen
    Auch wenn Verleugnung und Ablenkung vor allem in der ersten Zeit nach dem Verlust normal sind und häufig dazu dienen, mit der Trauer fertigzuwerden, so sollte man es sich nicht verbieten, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Damit wird die Traurigkeit nicht unterdrückt und eine Auseinandersetzung mit der Situation wird ermöglicht.
  • Trost nicht in Suchtmitteln suchen
    Verdrängen gehört bis zu einem gewissen Grad auch zum Trauerprozess, aber vor allem sollte dies nicht mithilfe von Suchtmitteln wie Alkohol oder Medikamenten sowie mit Drogen geschehen. Auch wenn gewisse Substanzen vermeintlich Trost bieten, sollte ihr Gefahren- und Abhängigkeitspotenzial nicht unterschätzt bzw. rechtzeitig wahrgenommen werden.
  • Hilfe von außen
    Im Falle eines Verlustes hilft vor allem das Reden mit der Familie und mit Freund*innen. Das Gefühl, sich jemandem anvertrauen zu können, sowie die Nähe zu anderen Menschen bieten Trost und helfen, mit der Trauer besser umgehen zu können. Scheut man sich davor, sich anderen anzuvertrauen, weil man gutgemeinte Ratschläge wie „Das wird schon wieder“ oder „Es wird leichter“ nicht hören möchte, sollte man dies offen kundtun.
  • Rituale im Alltag
    Kleine Gewohnheiten und Rituale können hilfreich sein, sich für einen kurzen Moment bewusst der verstorbenen Person zu widmen. Viele finden beispielsweise Trost im Anzünden einer Kerze. Integriert man solche kleinen Momente des Erinnerns in den Alltag, kann dieser auch wieder besser bestritten werden, sofern man sich dazu auch schon wirklich bereit fühlt.

Mit dem Tod einer geliebten Person umzugehen, erfordert viel Kraft und Zeit. Und vor allem letzterer Aspekt folgt dabei keinem festgelegten Schema, sondern den eigenen Bedürfnissen. Auch wenn der Verlust scheinbar nicht überwunden werden kann, muss man die für sich persönlich hilfreichen Bewältigungsmechanismen ausmachen, um das Geschehene zu verarbeiten. Wenn die Unterstützung des sozialen Netzwerkes dabei nicht ausreicht, sollte man sich nicht davor scheuen, Beratungsangebote sowie professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn dadurch kann verhindert werden, dass die Trauer zu einer psychischen Erkrankung wird. Und gleichzeitig helfen Perspektiven von außen, andere und trostspendende Sichtweisen zu entwickeln, die den Verlust (auf Dauer) zumindest erträglich machen.

 


1 AOK Gesundheitsmagazin: Richtig mit Trauer umgehen. In: aok.de. Veröffentlicht am 19.10.2021.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/trauer-das-hilft-bei-der-bewaeltigung/ [Stand: 15.03.2023].

2 Vgl. Oberberg Kliniken: Trauer und Trauerbewältigung: Wie Menschen Abschied nehmen und ab wann Trauer krankhaft wird. In: oberbergkliniken.de.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/trauer-und-trauerbewaeltigung-wie-menschen-abschied-nehmen-und-ab-wann-trauer-krankhaft-wird [Stand: 15.03.2023].

3 Vgl. Oberberg Kliniken: Trauer und Trauerbewältigung: Wie Menschen Abschied nehmen und ab wann Trauer krankhaft wird.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/trauer-und-trauerbewaeltigung-wie-menschen-abschied-nehmen-und-ab-wann-trauer-krankhaft-wird [Stand: 15.03.2023].

4 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Trauer bewältigen. In: gesundheit.gv.at. Aktualisiert am 25.09.2020.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/psyche-seele/psychische-belastungen/trauer.html [Stand: 15.03.2023] und
vgl. Gaede, Isabell: Trauer bewältigen: Die besten Tipps, um den Schmerz gehen zu lassen. In: focus.de. Veröffentlicht am 07.07.2022.
URL: https://praxistipps.focus.de/trauer-bewaeltigen-die-besten-tipps-um-den-schmerz-gehen-zu-lassen_108965 [Stand: 15.03.2023].

5 Vgl. Manzke, Mareike: Wenn dich die Trauer um den Verstand bringt. In: welt.de. Veröffentlicht am 08.11.2015.
URL: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article148571273/Wenn-dich-die-Trauer-um-den-Verstand-bringt.html [Stand: 15.03.2023].

6 Drescher, Alexandra: Der Tod der anderen. In: zeit.de. Veröffentlicht am 11.10.2011.
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Psychologie-Trauer/komplettansicht [Stand: 15.03.2023].

7 Drescher, Alexandra: Der Tod der anderen.
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Psychologie-Trauer/komplettansicht [Stand: 15.03.2023].

8 Worum es sich bei diesem Klassifizierungssystem handelt, lesen Sie in unserem Blogbeitrag Psychische Krankheiten klassifizieren und diagnostizieren »» vom 24.02.2021.

9 Oberberg Kliniken: Trauer und Trauerbewältigung: Wie Menschen Abschied nehmen und ab wann Trauer krankhaft wird.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/trauer-und-trauerbewaeltigung-wie-menschen-abschied-nehmen-und-ab-wann-trauer-krankhaft-wird [Stand: 15.03.2023].

10 Vgl. Oberberg Kliniken: Trauer und Trauerbewältigung: Wie Menschen Abschied nehmen und ab wann Trauer krankhaft wird.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/trauer-und-trauerbewaeltigung-wie-menschen-abschied-nehmen-und-ab-wann-trauer-krankhaft-wird [Stand: 15.03.2023].

11 Vgl. Simon, Claus Peter: Anhaltende Trauer. Psychologie gibt Rat, was Betroffene tun können. In: GEOkompakt Nr. 60/2019.
URL: https://www.geo.de/wissen/21942-rtkl-anhaltende-trauer-psychologe-gibt-rat-was-betroffene-tun-koennen [Stand: 15.03.2023].

12 Vgl. Oberberg Kliniken: Trauer und Trauerbewältigung: Wie Menschen Abschied nehmen und ab wann Trauer krankhaft wird.
URL: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/trauer-und-trauerbewaeltigung-wie-menschen-abschied-nehmen-und-ab-wann-trauer-krankhaft-wird [Stand: 15.03.2023].

13 AOK Gesundheitsmagazin: Richtig mit Trauer umgehen.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/trauer-das-hilft-bei-der-bewaeltigung/ [Stand: 15.03.2023].

14 AOK Gesundheitsmagazin: Richtig mit Trauer umgehen.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/trauer-das-hilft-bei-der-bewaeltigung/ [Stand: 15.03.2023].

15 Vgl. Gaede, Isabell: Trauer bewältigen:
URL: https://praxistipps.focus.de/trauer-bewaeltigen-die-besten-tipps-um-den-schmerz-gehen-zu-lassen_108965 [Stand: 15.03.2023].

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Veröffentlicht am: 26.04.2023