Kunst – ein seelisches Erlebnis

 

Ein Museumsbesuch in der Freizeit oder das Malen eines Bildes – das in uns schlagende Künstlerherz wirkt sich positiv auf unser seelisches Wohlbefinden aus.

Wir betrachten ein Kunstwerk – ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur – und bewerten dieses hinsichtlich seiner Ästhetik und Wirkung auf uns. Oder wir betätigen uns selbst künstlerisch und sind darin vertieft, die passenden Farben zu wählen, um uns kreativ auszudrücken. In beiden Fällen, sowohl beim Wahrnehmen von Kunst als auch beim aktiven Betreiben, ist es uns möglich, unsere körperliche und psychische Gesundheit unbewusst positiv zu beeinflussen. Doch was genau passiert beim passiven und aktiven Erleben von Kunst im Detail?

Kunst als ‚Stresshemmer‘

Ausdrücklich nachgewiesen werden konnte zunächst ein wesentlicher Aspekt – der Kunstgenuss alleine vermag es schon, Stress zu reduzieren: Mehrere Studien belegen, dass beim Betrachten eines Kunstwerkes der Blutdruck sinkt und gleichzeitig Stresshormone wie Cortisol reduziert werden. Damit wird aktiv ein Entspannungszustand herbeigeführt.1

Sind wir von einem Kunstwerk dann zusätzlich noch in gewissem Maße ergriffen bzw. finden wir dieses ästhetisch ansprechend, regt dieser passive Kunstkonsum das sogenannte ‚Default Mode Netzwerk‘ im Gehirn an. Dabei handelt es sich um das Ruhezustandsnetzwerk, welches beim Tagträumen, beim Denken an Vergangenes oder beim Schmieden von Zukunftsplänen aktiviert ist, aber genauso bei Tätigkeiten, die wir automatisch ausführen, ohne uns darauf konzentrieren zu müssen.2 Wir vertiefen uns also voll und ganz in das zu betrachtende Objekt und nehmen dessen Wirkung in uns auf, blenden dabei unsere Umgebung aus, was ebenso den Abbau von Stresshormonen begünstigt.3

Wirkungsvoll bei psychischen Erkrankungen

Neben einer Steigerung der allgemeinen Lebenszufriedenheit sowie dem wachsenden Gefühl von innerem Frieden soll Kunst vor allem auf Menschen mit psychischen Erkrankungen stimmungsaufhellend wirken und außerdem das Selbstwertgefühl heben, wie vergleichende Studien ergaben. Auch der Faktor Ablenkung spielt für Betroffene eine wesentliche Rolle, denn im Moment des Betrachtens von Kunststücken gerät die eigene Erkrankung in den Hintergrund.4

Eine empirische Untersuchung des Arts Council England besagt zudem, dass unter Menschen, die häufig Museen und Kunstgalerien besuchen, 37 % weniger Arztbesuche bzw. um 27 % weniger Krankenhauseinweisungen erforderlich sind.5 Unter diesen Umständen scheint es nicht verwunderlich, dass das sogenannte ‚Social Prescribing‘ – das Verschreiben von Kunsteinrichtungsbesuchen oder Kulturveranstaltungen, nach Ländern wie Großbritannien, Schweden und Kanada nun auch in ganz Europa immer größeren Anklang findet.6 Nicht nur, dass die Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen gemäß weiteren Studien den Serotonin-Spiegel heben können –7 auch der Einsamkeit bzw. der sozialen Isolation wird damit aktiv vorgebeugt, denn beispielsweise der Besuch eines Museums ‚auf Rezept‘ wird sodann für Gruppen organisiert, die die Kunst als Kommunikationsbasis heranziehen und sich untereinander austauschen können.8

Aktive künstlerische Betätigung für mehr Resilienz

Wenn bereits die bloße Wahrnehmung von Kunst solche Wirkung auf uns hat, stellt sich natürlich in weiterer Folge die Frage, inwiefern das künstlerische Schaffen selbst zur Aufrechterhaltung der Gesundheit beiträgt. Forscher*innen fanden heraus, dass kreative Betätigung in diesem Feld dazu beiträgt, die Resilienz zu stärken. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Emotionen nach außen gekehrt und damit verarbeitet werden. Zum anderen werden während des kreativen Schaffens positive Gefühle erzeugt, die wiederum die eigene Widerstandsfähigkeit und somit das subjektive Wohlbefinden stärken. Des Weiteren fördert der kreative Schaffensprozess die kognitiven Fähigkeiten sowie die Gedächtnisleistung im Allgemeinen.9

Aufgrund der zahlreichen belegten Wirkungsweisen von Kunst – sowohl der Genuss als auch die Aktivität an sich – hat sie mittlerweile Eingang in psychotherapeutische Settings gefunden und ermöglicht neue Mittel und Wege, sich mit seelischen Belastungen und psychischen Krankheiten kreativ auseinanderzusetzen.

Mittels Kunsttherapie die Seele ergründen

Obwohl noch eine umfassende Erforschung der Effizienz von der sogenannten Kunsttherapie ausständig ist,10 ist man sich in Fachkreisen doch einig, dass das bloße Hervorbringen eines Objektes, also das kreative Schaffen, bereits mit einer therapeutischen Wirkung einhergeht.11 Gemäß der an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee tätigen Kunsttherapeutin Karin Dannecker könne dieser Ansatz „Zugang zu Inhalten des seelischen Lebens […] ermöglichen, die bisher unbewusst waren“12.

Gegenstand bzw. Intention der Kunsttherapie – „Die Therapeutin unterstützt und ermutigt den Patienten, seine persönlichen Themen mit den künstlerischen Materialien zum Ausdruck zu bringen. Sie hilft ihm dabei, sich selbst besser zu verstehen. Zum anderen entdecken die Menschen meistens etwas Neues über sich, was ihnen vorher nicht zugänglich war“13, wie Dannecker erläutert. Die*der Therapeut*in stehe den Patient*innen dabei unterstützend zur Seite. Fokussiert werde nicht die Bewertung des künstlerisch Hervorgebrachten; im Vordergrund stehe, bei der Wahrnehmung des fertiggestellten Bildnisses zu begleiten, wie der im Kantonsspital Fribourg (Schweiz) tätige Kunsttherapeut Jean-Michel Capt betont.14

Neben der Fokussierung auf sich selbst sowie dem Sichtbarmachen von innerseelischen Konflikten tritt durch die therapeutische Maßnahme nachweislich ein Entspannungszustand ein; ebenso soll die Aufmerksamkeit der Patient*innen während einer solchen Therapie-Einheit auf die Gestaltung und damit auf den gegenwärtigen Moment gerichtet sein, womit wieder der bereits erwähnte Faktor Ablenkung wesentlich wird.15 Was die Kunsttherapie ebenso auszeichnet – die betroffene Person wird dabei nicht vordergründig als Patient*in behandelt, „sondern als jemand, der etwas schafft und erschafft. Sie erleben einen anderen Teil von sich“16, so Dannecker. Dadurch ergibt sich gleichzeitig eine Steigerung der Selbstachtung sowie nach länger andauernder Therapie auch einer Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität, die vor allem durch eine Verminderung der Symptomatik erzielt wird.17

Kunst ist gemäß den Ausführungen also wesentlich mehr als ein vergnügliches Freizeithobby. Aufgrund ihrer positiven Wirkungsweisen auf Körper und vor allem Seele sollte stets eine intensive Auseinandersetzung mit ihr erfolgen – in Form des Kunstgenusses und des eigenen kreativen Schaffens –, denn ihr mittlerweile etablierter Einsatz vor allem zur Linderung von Symptomen psychischer Erkrankungen bzw. zur Erforschung und Offenlegung seelischer Belastungen zeigt, wie wertvoll die passive Wahrnehmung sowie das kreative Schaffen zur Unterstützung und Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit sind.

 


1 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept. Wie sinnliche Erlebnisse heilen können. In: tagesspiegel.de. Veröffentlicht am 29.12.2022.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023].

2 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023] und
vgl. Online Lexikon für Psychologie & Pädadogik: Default Mode Network – DMN. In: lexikon.stangl.eu.
URL: https://lexikon.stangl.eu/4373/default-mode-network-dmn [Stand: 04.01.2023].

3 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023]

4 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023].

5 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023].

6 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023].

7 Vgl. APA / dpa: Montreal: Ärzte dürfen Museumsbesuche verschreiben. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 23.10.2018.
URL : https://www.derstandard.at/story/2000089943447/aerzte-in-montreal-duerfen-besuch-im-museum-verschreiben [Stand: 04.01.2023].

8 Vgl. Donner, Susanne: Kunst auf Rezept.
URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kunst-auf-rezept-wie-sinnliche-erlebnisse-heilen-konnen-9101425.html [Stand: 04.01.2023].

9 Vgl. Gielas, Anna: Was Kunst kann. In: psychologie-heute.de. Veröffentlicht am 03.04.2020.
URL: https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/40458-was-kunst-kann.html [Stand: 04.01.2023].

10 Vgl. Schuster, Martin: Kunsttherapie: Ohne Scheu vor dem Begriff „Kunst“. In: aerzteblatt.de. Veröffentlicht im Februar 2009.
URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/63338/Kunsttherapie-Ohne-Scheu-vor-dem-Begriff-Kunst [Stand: 05.01.2023].

11 Vgl. R.Schö.: Kunsttherapie. Lexikon der Psychologie. In: spektrum.de. URL: https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/kunsttherapie/8406 [Stand: 04.01.2023].

12 Gläser, Heike: Kunsttherapie. Die Heilkraft der Farben. In: tagesspiegel.de. Veröffentlicht am 23.06.2019.
URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-heilkraft-der-farben-8272471.html [Stand: 04.01.2023].

13 Gläser, Heike: Kunsttherapie. Die Heilkraft der Farben.
URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-heilkraft-der-farben-8272471.html [Stand: 04.01.2023].

14 Vgl. Freiburger Spital: Kunsttherapie: Die heilsame Wirkung des kreativen Prozesses. In: h-fr.ch. Veröffentlicht am 21.10.2020.
URL: https://www.h-fr.ch/de/news-agenda/blog/kompetenzzentren/kunsttherapie-die-heilsame-wirkung-des-kreativen-prozesses [Stand: 05.01.2023].

15 Vgl. kurier.at / iteu: Warum jede kreative Tätigkeit Stress senkt. In: kurier.at. Veröffentlicht am 20.06.2016.
URL: https://kurier.at/wellness/kunsttherapie-jede-art-von-kunst-senkt-cortisol-level-und-stresshormone/205.074.221 [Stand: 04.01.2023].

16 Gläser, Heike: Kunsttherapie. Die Heilkraft der Farben.
URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-heilkraft-der-farben-8272471.html [Stand: 04.01.2023].

17 Vgl. Gielas, Anna: Was Kunst kann.
URL: https://www.psychologie-heute.de/gesundheit/artikel-detailansicht/40458-was-kunst-kann.html [Stand: 04.01.2023].

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Veröffentlicht am: 25.01.2023