Schmerzen als ständige Begleiter
Akzeptieren zu müssen, dass Schmerzen im ganzen Körper nicht mehr verschwinden werden, bedeutet für viele Fibromyalgie-Betroffene, einen langen Leidensweg gehen zu müssen. Aber mit der richtigen Behandlungsform kann Lebensqualität zurückerlangt werden.
Eine Verspannung hier, ein leichter Muskelschmerz da – wir alle werden manchmal von kleineren Wehwehchen wie einem ‚steifen‘ Rücken und auch heftigeren Schmerzen beispielsweise den Kopf betreffend geplagt, können damit aber im Grunde recht gut umgehen, weil wir wissen, dass sie auch wieder vorübergehen. Doch was, wenn die Beschwerden kaum auszuhalten und außerdem ständige Begleiter sind ohne Aussicht auf Besserung?
Denn etwa 2 bis 4 % der erwachsenen Bevölkerung leiden an Fibromyalgie, dem sogenannten Faser-Muskel-Schmerz.1 Und dabei handelt es sich auch um das Hauptsymptom der Erkrankung, nämlich Muskelschmerzen, die häufig zusammen mit steifen Gelenken, einem Brennen und Kribbeln und einem Taubheitsgefühl einhergehen. Zusätzlich können auch Kopfschmerzen und Migräne oder das Reizdarm-Syndrom auftreten und begleitend zu diesen Beschwerden ebenso Schlafstörungen, Müdigkeit und Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeit und eine verminderte Leistungsfähigkeit.2 Die an Fibromyalgie leidende Greta beschreibt ihre Krankheitssymptome im Detail mit einem „Muskelkater, der nie verschwindet. Dazu kommt ein Gefühl der Enge und Muskelanspannung. Zusätzlich habe ich manchmal so einen einschießenden Schmerz, als ob mir ein Messer ins Gewebe gerammt wird“3 sowie „eine Art Brennen an den Füßen und Knöcheln“4, wie sie schildert.
Das wirklich Perfide an der Erkrankung – sie zeigt keine Auffälligkeiten im Befund, weder hinsichtlich jener Laborwerte, die eine Entzündung im Körper markieren, noch in Bezug auf andere Parameter, die mit einem Blutbild überprüft werden.5 Damit handelt es sich auch um eine ‚unsichtbare‘ Krankheit ohne erkennbare Ursache, die nicht immer auf Verständnis der Mitmenschen stößt, wie auch Greta weiß: „Menschen mit Fibromyalgie haben immer damit zu kämpfen, dass sie nicht krank aussehen. Da können schnell Vorwürfe von anderen kommen“6.
Die unaufhörliche Suche nach der Ursache
Bis heute weiß man nicht genau, welche Faktoren die Krankheit auslösen und welche physischen Vorgänge für die Schmerzen im Körper verantwortlichen sind. Ausgegangen wird davon, dass bei dieser Erkrankung die Schmerzverarbeitung im Gehirn gestört ist und Betroffene Reize als Schmerzen wahrnehmen, die Gesunde nicht verspüren, weil unbedeutende Schmerzreize im Normalfall bereits im Rückenmark herausgefiltert werden und damit das Gehirn nicht erreichen.7 Auch in Bezug auf die mögliche Ursache hat die Wissenschaft noch keine endgültige Erklärung für die Entstehung der Erkrankung gefunden, allerdings würden „Studien und auch die Praxis zeigen, dass es neben einer gewissen Häufung in der Familie vor allem einen Umstand gibt, dem viele Betroffene vor Ausbruch ausgesetzt waren, nämlich Stress“8, wie die Wiener Fachärztin für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Sabine Sator erklärt. „Menschen, die berufliche oder private Probleme haben, zeigen eine gewisse Auffälligkeit“9, so ihre weiterführende Erläuterung. Und auch fieberhafte Infekte oder die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) stehen im Verdacht, die Krankheit verursachen zu können.10
Eine Krankheit mit psychischen Folgen
Weil die Ursache aber nach wie vor unbekannt ist und auch keine Heilungschancen bei Fibromyalgie bestehen, kann sie für Betroffene zu einer enormen seelischen Belastung werden: Wegen der chronischen Schmerzen bedeuten viele Tätigkeiten (beispielsweise im Haushalt genauso wie Aktivitäten mit Familie oder Freund*innen) eine enorme Kraftanstrengung und führen schnell zu Erschöpfung und Müdigkeit.11 Innere Unruhe, Antriebslosigkeit oder Niedergeschlagenheit können somit Folgeerscheinungen der Erkrankung sein und schließlich auch zu psychischen Erkrankungen wie zu Angststörungen oder Depressionen führen.12
Symptome bekämpfen und lindern
Aufgrund der zahlreichen Symptome der Erkrankung (physisch wie auch psychisch) schlägt Sator eine multi-modale Vorgehensweise zur allgemeinen Schmerzlinderung und Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit vor, während „[d]ie alleinige Verabreichung von Schmerztabletten […] kontraproduktiv“13 sei. Diese würden nur kurzfristige Erleichterung bei den chronischen Schmerzen bringen, während eine adäquate und angepasste Therapie fehlen würde.14 Deswegen seien 5 Elemente wesentlich, um mit der Erkrankung besser umzugehen und um schließlich mit ihr leben zu lernen:15
- Körperliche Betätigung, Bewegung und Sport
Studien konnten belegen, dass regelmäßige Bewegung und leichte körperliche Betätigung bzw. moderater Ausdauersport (beispielsweise Radfahren oder Walken genauso wie spezielles Fibromyalgie-Turnen für Patient*innen oder Wassergymnastik) Schmerzen lindern können, obwohl dies den Patient*innen zunächst viel Überwindung kostet. Auch Greta schildert diesen Sachverhalt ähnlich: „Lange habe ich Angst gehabt, mich bei Schmerzen zu bewegen. Ich dachte, die Schmerzen werden vielleicht durch die Bewegung stärker oder ich schade mir damit“16, aber sie habe erkannt, „dass ich meine Kondition stärken und in Bewegung bleiben muss. Es war für mich ein Aha-Erlebnis, dass nichts passiert, wenn ich mich trotz der Schmerzen bewege“17, so ihre persönliche Erfahrung. - Psychopharmaka, um die Seele in Balance zu halten
Viele Betroffene nehmen aufgrund von psychischen Begleiterkrankungen wie Depressionen entsprechende Medikamente (Antidepressiva) ein, um Symptome dahin gehend zu lindern bzw. um die psychische Krankheit zu bekämpfen. - Psychotherapie als notwendige Maßnahme
Weil die Erkrankung eine extreme seelische Belastung darstellt und ein adäquater Umgang mit den Schmerzen erlernt werden muss, wird jedenfalls eine Psychotherapie bzw. Schmerztherapie empfohlen. - Methoden zur körperlichen und geistigen Entspannung
Um Stressfaktoren zur reduzieren, helfen entsprechende Entspannungsübungen, autogenes Training oder Meditationseinheiten. - Man ist nicht alleine – Selbsthilfegruppen als unterstützende Maßnahme
Vor allem der Austausch mit anderen von der Krankheit Betroffenen hilft vielen Menschen dabei, besser mit Fibromyalgie umzugehen. Auch Greta besucht regelmäßig eine Selbsthilfegruppe, denn „[d]ort musste ich mich nicht erklären. Dort wurde ich verstanden und ich konnte mich mit anderen austauschen – auch darüber, was anderen im Alltag hilft“18.
Und Sator ermutigt dazu, solche multi-modalen Behandlungsformen bei Fibromyalgie zu wählen anstatt sich alleinig auf die Einnahme von Schmerzmedikamenten zu fokussieren, denn durch diese breitgefächerten Therapieansätze sei „[e]ine Linderung der Symptome freilich […] durchaus machbar. […] [V]iele Patienten können sich wieder in den gesellschaftlichen Alltag eingliedern. Der Lebensstandard vieler Betroffener kann bei richtiger Behandlung durchaus als gut bezeichnet werden“19. Auch Greta hat auf diese Art und Weise gelernt, die Erkrankung als Teil von sich zu akzeptieren: „Am Anfang war immer in meinem Kopf: Wenn es mir heute Abend gut geht und ich tanzen gehe oder etwas anderes unternehme, dann wird es mir morgen schlecht gehen. Ich bin mit der Zeit nach und nach dazu übergegangen zu sagen, dass es egal ist, wie es mir morgen gehen wird. Ich lebe im Hier und Jetzt und es ist toll, heute Spaß zu haben. Wenn ich mir das verbiete, weil ich Angst vor morgen habe, dann habe ich gar keinen Spaß mehr im Leben“20. Und sie möchte auch anderen Mut machen, denn mittlerweile habe sie ihren „Weg gefunden. Es gibt schon Medikamente, die mir kurzfristig helfen, aber langfristig muss ich selbst aktiv werden. Ablenken, rausgehen, mich bewegen. Wichtig ist es, herauszufinden, was einem guttut“21.
Und obwohl es Betroffenen viel Überwindung kostet, trotz Schmerzen weiterhin aktiv zu bleiben (ob nun sportliche Betätigung oder Unternehmungen mit Bekannten), so scheint dies gemäß wissenschaftlichen Untersuchungen und den von Betroffenen gemachten Erfahrungen der Schlüssel dafür zu sein, mit Fibromyalgie besser umzugehen. Zwar sei es laut Greta doch sehr schwer gewesen, Hilfe anzunehmen und sich eingestehen zu müssen, dass man vieles nun nicht mehr machen könne, aber man dürfe sich selbst auch keinen Druck machen.22 „Es braucht Zeit, dies zu erkennen“23, wie sie erläutert. Akzeptiert man die Erkrankung schließlich und nimmt vielfältige physische und psychische Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch, kann auch ein gewisser Lebensstandard aufrechterhalten sowie Lebensqualität zurückerlangt werden.24
1 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie. In: minimed.at. Veröffentlicht am 15.04.2012.
URL: https://www.minimed.at/medizinische-themen/schmerz-narkose/fibromyalgie-schmerz-chronisch/ [Stand: 27.06.2022] und
vgl. o.A.: Fibromyalgie: Schmerzen mit ungeklärter Ursache. In: ndr.de. Veröffentlicht am 08.02.2021.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Fibromyalgie-erkennen-und-behandeln,fibromyalgie118.html [Stand: 27.06.2022].
2 Vgl. Ewert, Katrin: Fibromyalgie. In: focus-arutsuche.de. Aktualisiert am 22.06.2021.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/neurologie/welche-symptome-bei-einer-fibromyalgie-auftreten [Stand: 27.06.2022] und
vgl. o.A.: Fibromyalgie: Schmerzen mit ungeklärter Ursache.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Fibromyalgie-erkennen-und-behandeln,fibromyalgie118.html [Stand: 27.06.2022].
3 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin. In: gesundheitsinformation.de. Aktualisiert am 20.04.2022.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
4 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
5 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden. In: meinegesundheit.at. Veröffentlicht im April 2012.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
6 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
7 Vgl. o.A.: Fibromyalgie: Schmerzen mit ungeklärter Ursache. In: ndr.de. Veröffentlicht am 08.02.2021.
URL: https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Fibromyalgie-erkennen-und-behandeln,fibromyalgie118.html [Stand: 27.06.2022].
8 Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
9 Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
10 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
11 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Fibromyalgie. In: gesundheitsinformation.de. Aktualisiert am 20.04.2022.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/fibromyalgie.html [Stand: 27.06.2022].
12 Vgl. Ewert, Katrin: Fibromyalgie.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/neurologie/welche-symptome-bei-einer-fibromyalgie-auftreten [Stand: 27.06.2022].
13 Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
14 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
15 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022] und
vgl. Ewert, Katrin: Fibromyalgie.
URL: https://focus-arztsuche.de/magazin/krankheiten/neurologie/welche-symptome-bei-einer-fibromyalgie-auftreten [Stand: 27.06.2022].
16 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
17 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
18 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
19 Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
20 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
21 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
22 Vgl. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
23 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Habe meiner Krankheit einen Namen gegeben: Erwin.
URL: https://www.gesundheitsinformation.de/habe-meiner-krankheit-einen-namen-gegeben-erwin.html [Stand: 27.06.2022].
24 Vgl. Hartl, Thomas: Fibromyalgie: Unsichtbares Leiden.
URL: https://www.meinegesundheit.at/cdscontent/?contentid=10007.689627 [Stand: 27.06.2022].
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Veröffentlicht am: 03.08.2022