Konfektionsgrößen – Zahlen mit großem Einfluss auf das seelische Gleichgewicht
Konfektionsgrößen geben Anhaltspunkte dahin gehend, wie der Körper gebaut ist. Doch wenn ein Kleidungsstück nicht passt, welches gemäß der Größe doch eigentlich gut sitzen sollte, kann dies am Selbstbewusstsein nagen – mit Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.
Eine ausgedehnte Shoppingtour sorgt für Glücksgefühle – so sagt man zumindest. Und dahinter steckt auch ein Quäntchen Wahrheit, denn beim Kauf von Dingen, die nicht nur der Bestreitung des Alltagslebens dienen (beispielsweise Lebensmittel), sondern die das Leben grundsätzlich schöner machen, wird das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert – wir sind glücklich.1 Und so löst der Kauf von Kleidung, die nicht dringend benötigt wird, welche man sich aber dennoch leisten möchte bzw. kann, ebendiese euphorischen Empfindungen aus – zumindest meistens.
Nicht selten wird der Einkaufsbummel nämlich auch zu einer frustrierenden Angelegenheit, vor allem dann, wenn die ins Auge gefassten Kleidungsstücke nicht passen, obwohl die im Etikett ablesbare Konfektionsgröße eigentlich das Gegenteil behauptet. Und in den seltensten Fällen fallen entsprechende Passformen zu groß aus, weswegen Kund*innen häufig ernüchtert annehmen, offenbar zugenommen zu haben.
Das Schönheitsideal von heute
Obwohl in den letzten Jahren zunehmend festgestellt wurde, dass die scheinbaren „90-60-90“-Idealmaße für Frauen nicht der Realität entsprechen und deswegen das in Bekleidungsgeschäften präsentierte Angebot auf ‚durchschnittliche‘ Konfektionsgrößen zunehmend angepasst wurde, ist das weibliche Schönheitsbild immer noch ein anderes: Schlanke, sportliche Frauen werden als attraktiv, ehrgeizig und erfolgreich angesehen. Und auch für Männer gilt Ähnliches. Ebendiese Vorstellung wird von der Modeindustrie, vom Showgeschäft oder von der Musikbranche noch immer latent vermittelt. Prominente Persönlichkeiten dienen den Fans damit auch als Vorbilder, nicht zuletzt hinsichtlich Aussehen und Körperform.2
Die Realität sieht anders aus
Wenn schließlich bekannte Modehäuser bzw. Marken Kleidungsstücke in bestimmten Größen ausweisen, Kund*innen jedoch zu Textilien in zwei oder drei Größen größer greifen müssen, erzeugt dies vielfach Frust. Doch das Hohenstein Institut, spezialisiert auf die Prüfung, Zertifizierung und Erforschung textiler Produkte,3 beruhigt: „70 % passen nicht optimal in eine Standardgröße“4. Dies hängt jedoch nicht mit der scheinbaren Willkür der auf Kleidungsstücken angegebenen Konfektionsgrößen zusammen, sondern mit länderspezifischen Unterschieden, denn „[d]ie Körperformenvielfalt der Menschen ist enorm“5, so die Erklärung des Hohenstein Institutes. Vergleicht man beispielsweise Nord- mit Südeuropäer*innen, variiert alleine die Körpergröße um durchschnittlich 8 cm.6 Hinzu kommt außerdem die körperliche Veränderung im Laufe der Zeit: „Wir sind im Durschnitt heute größer und kräftiger als unsere Eltern und Großeltern“7, so das Hohenstein Institut. Eine Anpassung der geltenden Konfektionsgrößen an diese Faktoren wird aber nur in seltenen Fällen und von wenigen Unternehmen auch tatsächlich vorgenommen.8
Doch nicht nur die sich über die letzten Jahrzehnte veränderte Körperform ist verantwortlich dafür, dass Konfektionsgrößen kaum noch eine realistische Orientierung über die eigene tatsächliche Kleidergröße bieten. Beispielsweise vertreiben global agierende Modeunternehmen bevorzugt Kleidung in schmäler geschnittenen Größen, um sich dem kaufkräftigsten Publikum – gemessen am länderspezifischen Populationsanteil – anzupassen. Und nicht zuletzt entsprechen Textilien von namhaften Markenherstellern häufig nicht den genormten Kleidergrößen. Grund dafür ist die Image-Pflege: Sollen vorwiegend schmale Menschen die Marke repräsentieren, werden die Kleider oftmals kleiner und zierlicher produziert, als die Konfektionsgröße eigentlich suggeriert. 9
Vor allem letzterer Umstand kann jedoch auch problematisch werden: Spricht eine Modefirma mit zu klein geschnittenen Kleidungsstücken ein bestimmtes Publikum an – nämlich Männer und Frauen, die dem Schönheitsideal entsprechen sollen –, wird damit eine große Personengruppe, also jene mit durchschnittlichen Maßen, ausgeschlossen. Passt genau sie nicht in die Kleidung, kann dies fatale Folgen nach sich ziehen.
Mittels Diät zum ‚Idealmaß‘
Wie eingangs erwähnt orientieren sich viele, hauptsächlich Jugendliche, an berühmten Personen, denen die Attribute Erfolg, Attraktivität und Ehrgeiz zugeordnet werden. Demgemäß kann hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes der Wunsch entstehen, dem Ideal möglichst nahezukommen, auch in Bezug auf die Körperform. So werden nicht selten strenge Diäten gemacht, die allerdings Stimmungsschwankungen begünstigen und zu Depressionen führen können. Vor allem steigt jedoch das Risiko, eine Essstörung10 wie Anorexie oder Bulimie zu entwickeln, enorm, die nicht nur körperliche und seelische Schäden nach sich zieht, sondern auch lebensbedrohlich sein kann.11
Der Kampf gegen ‚Triple Zero‘
Um Modetrends wie Triple-Zero – eine Konfektionsgröße, die eigentlich Kindern entspricht – entgegenzuwirken und damit die Gefahren, Essstörungen zu entwickeln, zu reduzieren, werden zunehmend Appelle lauter, den Fokus auf Mid-Size, also auf durchschnittliche Konfektionsgrößen (im deutschsprachigen Raum Größe 40 bis 42 bei Frauen)12 zu legen.13 Die Argumentation: Nicht die/der Träger*in eines Kleidungsstückes soll sich an das T-Shirt oder die Hose anpassen müssen, sondern genau umgekehrt – der Schnitt des Kleidungsstückes sollte dem realen Körperbild entsprechen.14
Von besonderer Wichtigkeit ist es also, das Selbstbild bzw. die eigene Körperwahrnehmung nicht von Kleidergrößen abhängig zu machen, auch nicht von prominenten Personen, die bestimmte Modehäuser oder Marken repräsentieren. Häufig werden nämlich falsche Schönheitsideale und Wertvorstellungen vermittelt, bei welchen der schlanke, fast schon magere Körper im Fokus steht.
Konfektionsgrößen bieten zwar einen ungefähren Anhaltspunkt dahin gehend, welches Kleidungsstück bzw. welcher Schnitt passen könnte, aber nur in seltenen Fällen stimmen sie mit der tatsächlichen Körperform überein. Im Vordergrund stehen immer das eigene Wohlbefinden und der Erhalt des persönlichen Selbstwertes, der nicht von einer im Kleidungsetikett angeführten Zahl bestimmt werden darf. Und ist man mit dem eigenen Körper (zumindest großteils) zufrieden, dann wird damit bereits ein erheblicher Beitrag zur Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts geleistet.
1 Vgl. Thieme, Andreas: Warum Shoppen glücklich macht. In: wz.de. Veröffentlicht am 02.012.2009.
URL: https://www.wz.de/ratgeber/warum-shoppen-gluecklich-macht_aid-31380283 [Stand: 26.04.2022].
2 Vgl. Redaktion wissen.de.: Magerwahn 2.0 dank Trend Size Triple Zero. In: wissen.de.
URL: https://www.wissen.de/magerwahn-20-dank-trend-size-triple-zero [Stand: 26.04.2022].
3 Vgl. Hohenstein: Textile Kompetenz auf den Punkt gebracht. In: hohenstein.de.
URL: https://www.hohenstein.de/de/ueber-uns [Stand: 26.04.2022].
4 Smekal, Caecilia: Wie die richtige Größe oft nicht passt. In: orf.at. Veröffentlicht am 12.01.2021.
URL: https://orf.at/stories/3178915/ [Stand: 26.04.2020].
5 Smekal, Caecilia: Wie die richtige Größe oft nicht passt.
URL: https://orf.at/stories/3178915/ [Stand: 26.04.2020].
6 Vgl. Smekal, Caecilia: Wie die richtige Größe oft nicht passt.
URL: https://orf.at/stories/3178915/ [Stand: 26.04.2020].
7 Smekal, Caecilia: Wie die richtige Größe oft nicht passt.
URL: https://orf.at/stories/3178915/ [Stand: 26.04.2020].
8 Vgl. Smekal, Caecilia: Wie die richtige Größe oft nicht passt.
URL: https://orf.at/stories/3178915/ [Stand: 26.04.2020].
9 Vgl. MacPherson, Sandra: Warum fallen Kleidergrößen unterschiedlich aus? Einfach erklärt. In: praxistipps.focus.de. Veröffentlicht am 10.09.2018.
URL: https://praxistipps.focus.de/warum-fallen-kleidergroessen-unterschiedlich-aus-einfach-erklaert_93276 [Stand: 26.04.2022].
10 Lesen Sie mehr über Essstörungen und ihre Folgen in unserem Blogbeitrag vom 07.07.2021 Von Magersucht bis Binge Eating – die komplexen Gesichter von
Essstörungen »»
11 Vgl. Redaktion wissen.de.: Magerwahn 2.0 dank Trend Size Triple Zero.
URL: https://www.wissen.de/magerwahn-20-dank-trend-size-triple-zero [Stand: 26.04.2022].
12 Vgl. Cerny, Karin: Böse Körperideale: Wenig Spielraum für reale Körper. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 12.10.2017.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000065370358/boese-koerperideale-wenig-spielraum-fuer-reale-koerper [Stand: 26.04.2022].
13 Vgl. Redaktion wissen.de.: Magerwahn 2.0 dank Trend Size Triple Zero.
URL: https://www.wissen.de/magerwahn-20-dank-trend-size-triple-zero [Stand: 26.04.2022].
14 Vgl. Cerny, Karin: Kleidergrößen: „Frauen und Männer heute kräftiger als ihre Eltern“. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 08.10.2016.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000044315624/kleidergroessen-frauen-und-maenner-heute-kraeftiger-als-ihre-eltern [Stand: 26.04.2022].
Bildhinweis: Adobe Stock
Veröffentlicht am: 25.05.2022