Wie schnell doch die Zeit vergeht … 

 

Warum begleitet uns ständig das Gefühl, dass schöne Erlebnisse viel zu schnell enden, hingegen Momente des gezwungenen Nichtstuns oder der Langeweile schier endlos währen? Und wie hängen unser Körperempfinden und die derzeitige Gemütslage damit zusammen?

Unser Alltag ist in vielen Fällen terminlich streng eingeteilt: Aufstehen um 6:00 Uhr morgens, Arbeitsbeginn um 8:00 Uhr und Dienstschluss um 16:30 Uhr; sodann ein Treffen mit Freund*innen um 17:00 Uhr und schließlich der Tagesabschluss um 22:00 Uhr. Verschiedenste Aktivitäten über den Tag verteilt werden also vom Faktor Zeit bestimmt. Und das Verstreichen von Minuten und Stunden kommt uns dabei entweder äußerst ‚zäh‘ oder rasend schnell vor.

Das subjektive Zeitempfinden

Wir alle werden mit genau diesem Aspekt stets konfrontiert: So kennen wir beispielsweise das ‚lange‘ Warten auf den Bus an der Haltestelle, und dabei scheint die Zeit stillzustehen. Verbringen wir hingegen einen schönen Abend mit Freund*innen oder Familie oder füllen wir unseren Urlaub mit diversen Tätigkeiten, scheint die Zeit nur so zu verfliegen. Die Zeitwahrnehmung gerät in beiden Fällen aus dem Gleichgewicht und wird verfälscht. Doch warum ‚verrinnt‘ die Zeit manchmal und will umgekehrt in bestimmten Situationen einfach nicht vergehen?

Zunächst hängt unsere Zeitwahrnehmung immer vom sogenannten subjektiven Zeitempfinden ab, das wiederum je nach Situation variiert. Das ‚zähe‘ Warten kann somit wie folgt erklärt werden: „Je mehr wir auf die Zeit achten, […], desto langsamer vergeht die Zeit in der momentanen Wahrnehmung“1, so der deutsche Psychologe Marc Wittmann. Füllen wir unseren Alltag hingegen mit routinierten Aktivitäten bzw. Handlungen oder befinden wir uns gar in einer Stresssituation und stehen dabei unter Zeitdruckt, „kann [man] sich nicht die Zeit nehmen, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren. Rückblickend werden dann meist weniger Elemente des Erlebten erinnert und die Zeitspanne als kürzer wahrgenommen“2, so Isabell Winkler von der Technischen Universität Chemnitz.

Demnach haben eben auch längst vergangene Erlebnisse in einem bestimmten Zeitraum Einfluss auf das Zeitempfinden: Je nach Anzahl der retrospektiven Ereignisse mit dem anschließenden Erinnern an diese schätzen wir die entsprechende Zeitspanne als länger oder kürzer ein. Wenn zum Beispiel ein Jahr ‚schnell‘ vergeht, dann deswegen, weil keine Vielzahl an besonderen oder neuartigen Geschehnissen erinnert werden, sondern der Zeitraum hauptsächlich mit Routinetätigkeiten verbracht wurde.3

Im Erwachsenenalter rast die Zeit, in der Kindheit will sie nicht vergehen.

Dies ist auch mitunter ein Grund dafür, warum die Zeit im Erwachsenenalter scheinbar immer schneller vergeht, während Kinder genau das Gegenteil empfinden: Zeiträume, die mit vielen neuen Ereignissen und Aktivitäten verknüpft sind, wie es bei Kindern der Fall ist, erscheinen sehr lange, während Erwachsene nicht mehr so viel Neues erleben, womit auch die Zeit zu rasen scheint.4 Und dieser sogenannte ‚Alterseffekt‘ wird mit voranschreitendem Alter auch immer stärker wahrgenommen.5 Beispielsweise erscheint ein Zeitraum von 10 Jahren für Senior*innen kürzer als für junge Menschen, da die Anzahl an neuen Lebensereignissen begrenzt ist.6

Emotionen haben einen elementaren Einfluss auf das Zeitempfinden

Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf das Zeitempfinden nimmt, sind die eigenen Emotionen: Befinden wir uns in einer Extremsituation oder in einem Zustand der Aufgeregtheit oder angespannten Erregung, beispielsweise beim Warten auf den Krankenwagen, dann scheint die Zeit kaum zu vergehen. Erleben wir hingegen entspannte Momente wie im Urlaub, dann haben wir das Gefühl, dass die Zeit zu rasen scheint.7

Auch psychische Erkrankungen bringen aufgrund der durch sie ausgelösten Emotionen häufig einen Verlust für die physikalische Zeit mit sich: So nehmen Menschen mit Depressionen ihre Außenwelt in vielen Fällen als zu schnelllebig wahr; wegen der gleichzeitigen Fokussierung auf das eigene Ich empfinden sie sich selbst als verlangsamt. Anders verhält es sich bei der Krankheit der Manie: Betroffenen geht vieles zu langsam, denn die Zeit wird als schnell vergängliches Gut gesehen. Um sich selbst in aufregenden Situationen wiederzufinden, suchen sie deswegen förmlich das Neuartige und oftmals Gefährliche.8

Die intensive Selbst-Fokussierung als Schlüssel für mehr Zeit

Wesentlicher Aspekt, warum Zeit aus subjektiver Sicht manchmal zu schnell, manchmal zu langsam vergeht, ist die eigene Körperwahrnehmung zusammen mit den vorherrschenden Emotionen. Unterhalten wir uns beispielsweise anregend mit unseren Vertrauten, dann wird die Konzentration verlagert, nämlich weg von dem eigenen Körper hin zur derzeitigen Aktivität. Beim Warten auf den Bus fokussieren wir uns hingegen stärker auf die Zeit – und konzentrieren uns aufgrund fehlender Ablenkung damit auch intensiver auf uns selbst.9

Weil der Alltag in der Regel nun mal von Schnelllebigkeit, Stress und Routinen geprägt ist, sehnen sich viele nach etwas mehr Zeit für sich selbst. Und unter dem Gesichtspunkt, dass das Zeitempfinden ausgedehnt wird, je stärker man auf sich konzentriert ist, eignen sich daher vor allem Achtsamkeitsübungen oder Meditation, um das Zeitgefühl zu verlangsamen: Die gesamte Aufmerksamkeit wird nach ‚innen‘ gerichtet, um vor allem den Körper intensiv wahrzunehmen. Man soll „sich über den Atem ganz auf das Hier (die Körperpräsenz) und das Jetzt (die zeitliche Präsenz) konzentrieren. Dabei verlangsamt sich das Erleben des subjektiven Zeitverlaufs“10.

Weil entschleunigende Maßnahmen aber nicht immer möglich sind, sollen Momente des Wartens gemäß Wittmann dazu genutzt werden, kurzfristig Ruhe im hektischen Geschehen zu finden: „Wir haben verlernt, leere Zeit auszuhalten oder zu warten. […] Dabei könnten wir auch sagen, dass wir diese leere Zeit nun für uns nutzen, um über uns nachzudenken“11, wie er vorschlägt.

Wenn demnach ein Termin den nächsten jagt und Zeit somit knapp wird, zudem noch Möglichkeiten dazu fehlen, entsprechende Achtsamkeitstrainings in den Alltag zu integrieren, sollten zumindest Situationen von scheinbar verloren geglaubter Zeit – das Warten auf den Bus oder das Stehen im Stau – dazu genutzt werden, sich intensiv auf sich selbst zu konzentrieren. Das Zeitempfinden kann damit auf wertvolle Art und Weise ausgedehnt werden, denn in solchen Momenten können wir uns auf uns, unsere Empfindungen und Emotionen sowie auf unseren Körper fokussieren und damit Stress und Hektik ausblenden. Auch wenn schließlich ereignisreiche Erlebnisse mit zunehmendem Alter mehr und mehr ausbleiben, entsteht durch die bewusste Selbstwahrnehmung zumindest die doch wertvolle Illusion, dass die physikalische Zeit langsamer vergeht, manchmal sogar stillzustehen scheint.

 


1 Traxler, Tanja: Marc Wittmann: „Pünktlichkeit geht zulasten des Erlebens“. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 29.10.2016.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000046611964/marc-wittmann-puenktlichkeit-geht-zulasten-des-erlebens [Stand: 22.09.2021].

2 Schreyer, Nina: Warum die Zeit manchmal schleicht und manchmal rast. Technische Universität Chemnitz. Uni aktuell – Forschung. Veröffentlicht am 20.07.2018.
URL: https://www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/aktuell/8926 [Stand: 22.09.2021].

3 Vgl. Wittmann, Marc: Wie entsteht unser Gefühl für die Zeit? In: spektrum.de. Veröffentlicht am 22.09.2014.
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744 [Stand: 22.09.2021].

4 Vgl. Schacht, Rüdiger: Warum Jahre rasen und Sekunden schleichen. In: welt.de. Veröffentlicht am 07.01.2008.
URL: https://www.welt.de/wissenschaft/article1525697/Warum-Jahre-rasen-und-Sekunden-schleichen.html [Stand: 22.09.2021].

5 Vgl. red: Warum die Zeit immer schneller vergeht. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 24.07.2018.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000083964065/warum-die-zeit-immer-schneller-vergeht [Stand: 22.09.2021].

6 Vgl. Stanzl, Eva: Pandemie verändert Zeitempfinden. In: wienerzeitung.at. Veröffentlicht am 15.07.2020.
URL: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/mensch/2067871-Pandemie-veraendert-Zeitempfinden.html [Stand: 22.09.2021].

7 Vgl. Geiger, Boris: Zeitgefühl: Wie tickt unsere innere Uhr? In: daserste.de. Veröffentlicht am 11.09.2019.
URL: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/zeitgefuehl-innere-uhr-100.html [Stand: 22.09.2021].

8 Vgl. Hubert, Martin: Zeiterleben und seelische Gesundheit. In: swr.de. Veröffentlicht am 02.11.2016.
URL: https://www.swr.de/swr2/wissen/broadcastcontrib-swr-20458.html [Stand: 22.09.2021].

9 Vgl. Wittmann, Marc: Wie entsteht unser Gefühl für die Zeit?
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744 [Stand: 22.09.2021].

10 Wittmann, Marc: Wie entsteht unser Gefühl für die Zeit?
URL: https://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744 [Stand: 22.09.2021]

11 Traxler, Tanja: Marc Wittmann: „Pünktlichkeit geht zulasten des Erlebens“.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000046611964/marc-wittmann-puenktlichkeit-geht-zulasten-des-erlebens [Stand: 22.09.2021].

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 03.11.2021