In der Natur liegt die Kraft – Phytotherapie für Körper und Seele

 

Abseits der klassischen Schulmedizin schwören viele auf die heilende Kraft von Kräutern und Pflanzen. Für die einen eine willkommene und nebenwirkungsfreie Alternative zu synthetischen Medikamenten, für die anderen ‚Humbug‘. Doch mit welchen Vorurteilen kann tatsächlich aufgeräumt werden?

Zahlreiche Behandlungsmethoden und -techniken fern von der gängigen Schulmedizin versprechen Linderung von körperlichen und/oder seelischen Beschwerden. Eine wohltuende Massage, eine Akupunktur-Sitzung oder homöopathische Präparate genauso wie Kräutertees und Vitamin-Booster aus der Drogerie sind dabei ‚sanfte‘ Behandlungsmethoden ohne Nebenwirkungen, auf die etwa 80 % der Österreicher*innen vertrauen und für welche sie Milliarden Euro pro Jahr ausgeben.1

Das Erstaunliche dabei ist, dass der Boom hin zur Komplementärmedizin nicht abreißt, obwohl als wissenschaftlich belegt gilt, dass viele dieser ‚natürlichen‘ Anwendungen keinerlei Wirkung zeigen. Es gilt dabei nämlich der Grundsatz, dass Therapien frei von Nebenwirkungen mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Hauptwirkung haben, weswegen diese dann eher dem Wellness-Bereich zuzuordnen sind.2 Und obwohl der Konflikt zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen bereits seit langer Zeit besteht, so sind sich viele Schulmediziner*innen mittlerweile in einer Sache einig: Etliche Behandlungsmethoden mögen vielleicht unnötig sein, aber einige der alternativmedizinischen Angebote sind äußerst effektiv, so beispielsweise die Phytotherapie.3

Pflanzenheilkunde als wissenschaftlich anerkannte Lehre

Dass Kräuter und Pflanzen bestimmte Wirkungsweisen im Körper entfalten sollen, ist bereits seit Tausenden von Jahren bekannt.4 Und die mittlerweile zahlreichen Untersuchungen sprechen nun auch eine eindeutige Sprache, denn viele Pflanzen haben sich dabei tatsächlich als äußerst wirkungsvoll in der Behandlung von diversen körperlichen und seelischen Erkrankungen erwiesen.5

Phytotherapie vs. Homöopathie

Hinsichtlich des aktuellen Forschungsstandes ist die Pflanzenheilkunde auch von der Homöopathie deutlich abzugrenzen, denn bei Letzterer gibt es bis heute keine aussagekräftigen Ergebnisse bzw. Belege zur Wirkung unterschiedlicher Präparate. Die ursprünglichen Pflanzenstoffen werden nämlich in veränderter bzw. verdünnter Weise verabreicht,6 was zwar etwaige Nebenwirkungen massiv verringert, aber auch den Nachweis von ursprünglichen Wirkungsstoffen kaum bis gar nicht mehr ermöglicht.7 Bei der Phytotherapie kommen Arzneimittel wie Tees, Tinkturen oder Medikamente auf Pflanzenbasis in hochdosierter Form zum Einsatz und unterliegen dabei einer genauen wissenschaftlichen Erprobung: Bevor entsprechende Mittel, sogenannte Phytopharmaka, auch tatsächlich erhältlich sind, müssen sie genauso wie synthetisch hergestellte Medikamente zahlreiche Verfahren durchlaufen, bevor sie gemäß dem Arzneimittelgesetz offiziell als ‚Heilmittel‘ bezeichnet werden dürfen.8 Deswegen sind sich Mediziner*innen auch dahin gehend einig: „Phytotherapeutika sind nicht anders als die schulmedizinischen Medikamente: Sie werden den gleichen Bewertungsverfahren unterzogen, sie haben die gleichen Anwendungsgebiete“9, so Jürgen Windeler, Arzt für Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie sowie Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln.

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Wie eingangs erwähnt muss man gemäß der allgemeinen Meinung bei Medikamenten, welche eine gewisse Wirkung erzielen sollen, immer mit Nebenwirkungen rechnen. Und auch bei der Phytotherapie können Neben- bzw. Wechselwirkungen zu anderen Medikamenten auftreten, denn „ab einer gewissen Menge greife ich auch mit pflanzlichen Präparaten in die Hirnchemie ein“10, wie Gerhard Gründer, Professor für Psychiatrie und Vorsitzender der Abteilung für Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, warnt. Häufig fallen diese jedoch deutlich geringer aus als bei synthetisch hergestellten Medikamenten. Dies liegt daran, dass bei chemischen Substanzen oftmals nur ein Wirkstoff zum Tragen kommt, welcher die entsprechenden Nebenwirkungen hervorrufen kann. Bei pflanzlichen Medikamenten entfalten hingegen zahlreiche Inhaltsstoffe – ca. 15 bis 20 – ihre unterschiedlichen Wirkungen, weswegen mögliche unerwünschte Effekte im Körper relativ ausgewogen verteilt werden und so auch nicht stark in Erscheinung treten. Trotz dieses Mechanismus bleibt die Heilkraft des jeweiligen Präparates und der verschiedenen Stoffe erhalten.11

Häufige Anwendungsgebiete der Phytotherapie

Aufgrund ihrer breitgefächerten Wirkungsweisen werden Phytopharmaka bei diversen Beschwerden und Krankheiten eingesetzt, vornehmlich auch bei solchen die Psyche betreffend. Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang häufig das Johanniskraut, welches gemäß zahlreicher Studien bei leichten bis mittelschweren Depressionen eine ebenso gute Wirkung erzielt wie klassische Antidepressiva.12 Die Inhaltsstoffe dieser Pflanze wirken in hoch dosierter Form stimmungsaufhellend und haben gleichzeitig weniger Nebenwirkungen als synthetische Arzneien. Ebenso gut untersucht sind die Inhaltsstoffe der Ginkgo-Blätter: Diese regen eine vermehrte Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn an, welche vor allem für das Erinnern und Lernen benötigt werden, womit die Merkfähigkeit verbessert wird. Und auch das bekannte Baldrian-Heilkraut wird bei Ängsten, Unruhe und Schlaflosigkeit erfolgreich eingesetzt. Weitere Heilpflanzen wie Lavendel bei psychischem Stress oder Erschöpfung, Passionsblume bei innerer Unruhe oder Rosenwurz bei Schwächegefühl, Erschöpfung und leichten Depressionen sind gut erforscht und werden deswegen auch regelmäßig verschrieben.13

Die Behandlung mit Phytopharmaka darf aber nur unter ärztlicher Aufsicht stattfinden.

Weil die Pflanzenheilkunde auf natürliche Produkte statt auf ‚Chemie-Keulen‘ zurückgreift, um die eben erwähnten Krankheiten bzw. Beschwerden zu lindern, mag man schnell annehmen, dass die Behandlung an sich ungefährlich ist. Ärzt*innen raten jedoch dringend von einer Selbstmedikation ab, so auch Christoph Bielitz, Professor für Psychiatrie mit Weiterbildung in Naturheilkunde und Suchtmedizin sowie ärztlicher Direktor des Sigma-Zentrums in Bad Säckingen: Er habe einem Patienten ein Johanniskrautmedikament verschrieben; gleichzeitig habe der Patient ihm verschwiegen, dass er bereits ein rezeptfreies Präparat aus der Drogerie einnehme, nämlich Tryptophan, eine essenzielle Aminosäure, die im Körper zu Serotonin, dem Glückshormon, umgewandelt wird. Diese Mischung habe starke aggressive Erregungszustände ausgelöst. Deswegen auch sein Resümee: „Ich kann nur davor warnen, diese Mittel ohne Absprache mit dem Arzt zu nehmen oder zu mischen“14, denn Bielitz geht davon aus, dass aufgrund von Selbstmedikation und des mangelnden Wissens zu Neben- und Wechselwirkungen alleine in Deutschland jährlich tausende Todesfälle zu verzeichnen seien.15 Somit ist es von großer Wichtigkeit, mit der/dem behandelnden Ärzt*in abzuklären, welche Phytopharmaka bei bestimmten Krankheiten und Beschwerden zum Einsatz kommen dürfen und welche aufgrund von Unverträglichkeiten, starken Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Substanzen gemieden werden müssen. Erst durch die entsprechende Anamnese können genau jene Medikamente zum Einsatz kommen, die bei den jeweiligen Beschwerden auch die größtmögliche Symptomlinderung bzw. Heilung herbeiführen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass so manche alternativmedizinische Anwendung wie beispielsweise die Phytotherapie zu Unrecht mit Vorurteilen wie Scharlatanerie oder Schwindel belegt ist. Edzard Ernst, Direktor der Komplementärmedizinabteilung an den Universitäten von Exeter und Plymouth in England, ist dabei sogar der Ansicht, dass Komplementärmedizin einen Bereich umfasse, „in dem Therapien noch nicht ausreichend beforscht sind“16. Demnach steht die Alternativmedizin synonym für (noch) fehlende bzw. aussagekräftige Untersuchungen zu diversen Behandlungsmethoden. Denn wenn entsprechende Wirkungsweisen verifiziert werden können, so sei „ein Konzept […] zur konventionellen Medizin zu rechnen“17, wie Ernst zum Ausdruck bringt. Und speziell die Phytotherapie wird aufgrund strenger Untersuchungsverfahren, intensiver Erforschung und in weiterer Folge bewiesener Wirkungsweise bei zahlreichen Beschwerden und Krankheiten von vielen Mediziner*innen empfohlen bzw. angewandt, da Phytopharmaka wissenschaftlich belegt synthetische Medikamente auch gleichwertig und mit demselben Behandlungsergebnis ersetzen können.

 


1 Vgl. Schneyder, Elisabeth: Homöopathie: Warum Alternativmedizin nicht wirkt. In: profil.at. Veröffentlicht am 12.03.2015.
URL: https://www.profil.at/wissenschaft/homooepathie-warum-alternativmedizin-nicht-wirkt-5552412 [Stand: 05.08.2021].

2 Vgl. Grams-Nobmann, Natalie: Grams‘ Sprechstunde: Sanfte Naturheilkunde kann giftig sein. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 06.10.2020.
URL: https://www.spektrum.de/kolumne/sanfte-naturheilkunde-kann-giftig-sein/1777812 [Stand: 05.08.2021].

3 Vgl. Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich? In: zeit.de. Veröffentlicht am 09.02.2010.
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

4 Vgl. Hartmann, Corinna: Naturheilkunde: Kräuter für die Seele. In: spektrum.de. Veröffentlicht am 23.03.2021.
URL: https://www.spektrum.de/news/heilpflanzen-kraeuter-fuer-die-seele/1848205 [Stand: 05.08.2021].

5 Vgl. Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

6 Vgl. Schneider, Klaus: Was kann Phytotherapie leisten? In: br.de. Veröffentlicht am 26.07.2021.
URL: https://www.br.de/radio/bayern2/was-kann-phytotherapie-leisten-100.html [Stand: 05.08.2021].

7 Vgl. Jung, Sascha: Ein Urteil stellt die Bewerbung homöopathischer Produkte infrage. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 08.07.2021.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000128032793/ein-urteil-stellt-die-bewerbung-homoeopathischer-produkte-infrage [Stand: 05.08.2021].

8 Vgl. Schneider, Klaus: Was kann Phytotherapie leisten?
URL: https://www.br.de/radio/bayern2/was-kann-phytotherapie-leisten-100.html [Stand: 05.08.2021].

9 Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

10 Schneider, Klaus: Was kann Phytotherapie leisten?
URL: https://www.br.de/radio/bayern2/was-kann-phytotherapie-leisten-100.html [Stand: 05.08.2021].

11 Vgl. Hartmann, Corinna: Naturheilkunde: Kräuter für die Seele.
URL: https://www.spektrum.de/news/heilpflanzen-kraeuter-fuer-die-seele/1848205 [Stand: 05.08.2021].

12 Vgl. Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

13 Vgl. Hartmann, Corinna: Naturheilkunde: Kräuter für die Seele.
URL: https://www.spektrum.de/news/heilpflanzen-kraeuter-fuer-die-seele/1848205 [Stand: 05.08.2021].

14 Hartmann, Corinna: Naturheilkunde: Kräuter für die Seele.
URL: https://www.spektrum.de/news/heilpflanzen-kraeuter-fuer-die-seele/1848205 [Stand: 05.08.2021].

15 Vgl. Hartmann, Corinna: Naturheilkunde: Kräuter für die Seele.
URL: https://www.spektrum.de/news/heilpflanzen-kraeuter-fuer-die-seele/1848205 [Stand: 05.08.2021].

16 Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

17 Schweitzer, Jan: Wie gut hilft die Naturmedizin wirklich?
URL: https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Naturmedizin/komplettansicht [Stand: 05.08.2021].

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Veröffentlicht am: 22.09.2021