Achtsamkeit – Den Alltag bewusst erleben
Achtsamkeitstechniken werden zunehmend beliebter, denn sie versprechen mehr Gelassenheit und weniger Stress. Doch was genau bewirken diese Methoden eigentlich und welche Mechanismen stecken dahinter?
Häufige Begleiter eines üblichen Alltages sind oftmals Stress und Hektik gepaart mit routinierten Abläufen. Viele verpflichtende Handlungen werden im Autopilot-Modus, eben automatisch verrichtet: Die morgendlichen Badezimmer-Gewohnheiten, Essen, Einkaufen, Arbeiten oder diverse Hausarbeiten. Man führt die anstehenden Tätigkeiten durch, weil sie zu erledigen sind. Und auch, wenn alle Arbeiten unterschiedlichen Mustern folgen – ihre wiederholte Ausübung führt zu Langeweile und zu Unruhe, was in weiterer Folge den Wunsch nach neuen und aufregenden Erlebnissen nach sich zieht.1 „Die Sehnsucht, dass die Dinge anders sein mögen, als wir sie gerade vorfinden, nimmt darin ihren Ursprung und ist oftmals die Quelle von Stress“2. Denn die Gedanken, welche uns bei ebendiesen Tätigkeiten begleiten, sind in vielen Fällen nicht positiver Natur, sondern kreisen eher darum, warum diese Dinge erledigt werden müssen – man reagiert auf sie häufig ablehnend, sodass sich das Alltägliche auch manchmal wie eine Qual anfühlt.3
Die Philosophie der Achtsamkeit lenkt den Blick wieder auf das Wesentliche.
Was zunächst esoterisch anmutet, hat in östlichen Weisheitslehren bereits eine lange Tradition. Der Begriff ‚Achtsamkeit‘ beschreibt nämlich das bewusste Erfahren des Hier und Jetzt.4 „Im Zentrum stehen Wahrnehmung, Akzeptanz und der besonnene Kontakt zu sich selbst sowie zum jeweiligen Umfeld“5. Doch was genau bedeutet das nun?
Wie kann Achtsamkeit in den hektischen Alltag integriert werden?
Den bereits beschriebenen Tätigkeiten wie dem Verrichten von Hausarbeit, dem Einkaufen oder der zu absolvierenden Morgenroutine genauso wie berufsbedingten Handlungen sollte demnach mit mehr Achtsamkeit begegnet werden. Durch diese Methode ist es möglich, eine ablehnende Haltung und damit auch den daraus resultierenden Stress zu vermeiden, denn „wie wir ein Ereignis oder eine Situation bewerten und darauf reagieren, entscheidet darüber, wie wir uns fühlen – zufrieden und leicht oder gestresst und mürrisch“8. Die wohl bekannteste Methode, um subjektive Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und um festzustellen, warum diese entsprechende Gefühle auslösen, wurde vom amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelt: MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) verhilft dazu, diverse Tätigkeiten aus einer anderen Perspektive zu betrachten und in weiterer Folge den durch negative Emotionen ausgelösten Stress zu reduzieren.9 Diese und viele weitere Achtsamkeitstechniken versprechen mehr Gelassenheit und damit auch die Reduktion von (unbewussten) psychischen Belastungen.
So könnten beispielsweise schon kleine Rituale am Morgen und nach der Arbeit eingebaut werden, damit ein guter Start in den Tag bzw. ein guter Abschluss des Arbeitstages gegeben sind. Bildschirmpausen in der Arbeit könnten mit entspannenden Kurzübungen gestaltet werden, ein aktives Zuhören und das Achten auf die/den Gesprächspartner*in gewährleisten eine gute Kommunikation. Aber auch das Besinnen auf Gefühle oder Gedanken, um herauszufinden, was geändert werden muss, um schließlich Abstand von ihnen zu bekommen, fördert das Wohlbefinden.10
Aber nicht immer sind Achtsamkeitstrainings unter gewissen Umständen auch wirklich empfehlenswert.
Das Besinnen auf das Innere in Form von Achtsamkeitstechniken und Meditation wird jedoch für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu einer Herausforderung. In mancherlei Hinsicht ist bei der Ausübung eines Achtsamkeitstrainings zur Stressreduktion sogar Vorsicht geboten.
Der in Hamburg tätige Psychologe und Psychotherapeut Gerhard Zarbock rät beispielsweise Menschen mit Depressionen in manchen Fällen von entsprechenden Achtsamkeitsübungen ab: „In der Behandlung ist es wichtig, die Patienten zu Bewegung und Unternehmungen zu motivieren. Achtsamkeit richtet jedoch den Blick nach innen, auf das körperliche und emotionale Befinden statt nach positiven Aktivitäten zu suchen“11. Dies hätte zur Folge, dass es die Betroffenen blockiere und daran hindere, zu handeln, wie Zarbock weiter ausführt.12 Wenn jedoch eine chronische Depression vorliegt, so können Achtsamkeitsübungen durchaus hilfreich dahin gehend sein, rechtzeitig zu erkennen, wann eine erneute depressive Phase entsteht, sodass ihr entgegengesteuert werden kann.13 Auch Menschen mit Psychosen werden Achtsamkeitstrainings nur unter der Voraussetzung empfohlen, diese mit erfahrenen und gut ausgebildeten Trainer*innen zu absolvieren, da mehr Anleitung benötigt wird. Suchtkranke sollten entsprechende Übungen nur im Zuge einer Entwöhnungstherapie durchführen, nicht jedoch in der Zeit, während noch Substanzen konsumiert werden.14
Mit Achtsamkeit zu mehr Ausgeglichenheit
Auch wenn Achtsamkeitsmethoden nicht uneingeschränkt von jeder Person durchgeführt werden sollten bzw. die Anwesenheit von geschulten Trainer*innen notwendig sein sollte, so versprechen sie doch Stressreduktion für mehr Wohlbefinden. Lästige Arbeiten und Tätigkeiten sollten nicht von vornherein negativ bewertet werden, sondern die Sache an sich muss im Mittelpunkt stehen, wodurch sich auch der generelle Blickwinkel verschiebt: Der tägliche Einkauf wird beispielsweise nicht als zeitraubend bewertet, die morgendliche Waschroutine nicht durch kreisende Gedanken an die im Büro wartenden Arbeiten unterbrochen. Selbst das Staubsaugen oder der Abwasch verlieren durch eine distanzierte Betrachtungsweise an negativer Bedeutung, wenn man sich auf die Tätigkeit fokussiert, nicht aber auf die hervorgerufenen Emotionen einer solchen Handlung, die ausgeführt werden muss.
Somit ist es ratsam, den Alltag mit mehr Achtsamkeit zu bestreiten, die Umgebung intensiver wahrzunehmen, um auch neue Perspektiven zu erforschen. Denn ein bewussterer und nicht wertender Umgang mit dem Gegebenen und Aktuellen gewährleistet eine Reduktion von negativen Gedanken und in weiterer Folge auch von Stress. Und all das führt schließlich zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens.
1 Vgl. Zaussinger, Thomas: Nervige Alltagshandlungen: Den Alltag neu entdecken. In: derStandard.at. Veröffentlicht am 14.03.2019.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000099262279/nervige-alltagshandlungen-den-alltag-neu-entdecken [Stand: 24.03.2021].
2 Zaussinger, Thomas: Nervige Alltagshandlungen: Den Alltag neu entdecken.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000099262279/nervige-alltagshandlungen-den-alltag-neu-entdecken [Stand: 24.03.2021].
3 Vgl. Zaussinger, Thomas: Nervige Alltagshandlungen: Den Alltag neu entdecken.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000099262279/nervige-alltagshandlungen-den-alltag-neu-entdecken [Stand: 24.03.2021].
4 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Entspannt & fokussiert durch Achtsamkeit. Zuletzt aktualisiert am 01.08.2019.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/stress/achtsamkeit [Stand: 24.03.2021].
5 Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Entspannt & fokussiert durch Achtsamkeit.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/stress/achtsamkeit [Stand: 24.03.2021].
6 Vgl. Kuss, Melanie: Achtsamkeit. In: planet-wissen.de. Veröffentlicht am 19.03.2020.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/index.html [Stand: 24.03.2021].
7 Vgl. Kuss, Melanie: Achtsamkeit.
URL: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/index.html [Stand: 24.03.2021].
8 Zaussinger, Thomas: Nervige Alltagshandlungen: Den Alltag neu entdecken.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000099262279/nervige-alltagshandlungen-den-alltag-neu-entdecken [Stand: 24.03.2021].
9 Vgl. Zaussinger, Thomas: Nervige Alltagshandlungen: Den Alltag neu entdecken.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000099262279/nervige-alltagshandlungen-den-alltag-neu-entdecken [Stand: 24.03.2021].
10 Vgl. Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Entspannt & fokussiert durch Achtsamkeit.
URL: https://www.gesundheit.gv.at/leben/stress/achtsamkeit [Stand: 24.03.2021].
11 Hauschild, Jana: Verdammt, entspann dich! In: spiegel.de. Veröffentlicht am 04.09.2014.
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/meditation-achtsamkeit-hat-nebenwirkungen-a-989682.html [Stand: 24.03.2021].
12 Vgl. Hauschild, Jana: Verdammt, entspann dich!
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/meditation-achtsamkeit-hat-nebenwirkungen-a-989682.html [Stand: 24.03.2021].
13 Vgl. Hauschild, Jana: Verdammt, entspann dich!
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/meditation-achtsamkeit-hat-nebenwirkungen-a-989682.html [Stand: 24.03.2021].
14 Vgl. Hauschild, Jana: Verdammt, entspann dich!
URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/meditation-achtsamkeit-hat-nebenwirkungen-a-989682.html [Stand: 24.03.2021].
Bildhinweis: Adobe Stock
Veröffentlicht am: 28.04.2021