Die Weihnachtszeit als psychische Belastungsprobe

 

Geschenke kaufen, Kekse backen, ein Marathon an Verwandtschaftsbesuchen – Weihnachten wird immer wieder als die stressigste anstatt besinnlichste Zeit beschrieben. Nicht nur der wahre Wert des Festes gerät dabei in Vergessenheit; nicht berücksichtigt wird auch, dass es Menschen gibt, welche an Weihnachten im Generellen alleine sind.

Wir befinden uns inmitten der schönsten Zeit im Jahr – zumindest wird immer von einem gemütlichen und harmonischen Advent gesprochen. Aber für viele bedeutet Weihnachten auch Stress, Hektik und eine Herausforderung für die Psyche ob des in den Medien immer zelebrierten Familienfestes und des Drucks, allen Erwartungen gerecht zu werden.

Jährlich kann das Phänomen beobachtet werden, dass zahlreiche Menschen an den Adventsamstagen durch belebte Straßen hetzen und auf der Suche nach dem passenden Geschenk für die Liebsten sind. Je teurer, desto wertvoller – je größer, desto besser. Und das Muss, neben den Familienmitgliedern auch alle Freund*innen, Arbeitskolleg*innen und Bekannten zu beschenken, führt dazu, dass man häufig die Bedeutung des Festes aus den Augen verliert. Dann noch der obligatorische Weihnachtsputz, weil an den Feiertagen die gesamte Verwandtschaft eintrudelt, und zahlreiche weitere Verpflichtungen wie ein großartiges Weihnachtsessen sowie ein perfekt dekoriertes Haus – oftmals vergessen wir dabei, was eigentlich wertvoll ist, nämlich die Familie und das gemeinsame Zusammensein.

Vor allem vergessen viele im vielzitierten Weihnachtsstress dabei auch, dass es zahlreiche Menschen gibt, die die Feiertage unfreiwillig alleine verbringen.

Und das möglicherweise aus ganz natürlichen Gründen: Die Kinder haben mittlerweile eine eigene Familie und feiern mit dieser; man ist alleinstehend oder der/die Partner*in ist verstorben. Die Einsamkeit1 verstärkt sich deswegen in der Weihnachtszeit häufig.2 Warum wird dieses Gefühl aber gerade dann intensiver wahrgenommen?

Werner Schöny, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin sowie Ehrenpräsident von pro mente Austria, erläutert dazu, dass „Weihnachten eine Zeit ist, zu der gesellschaftlich verlangt wird, dass es uns gut geht. Da muss man feiern, es gibt viele Lichter, Geschenke werden verteilt“3. Beim Fest zum Ende des Jahres wird demnach Frohsinn vorausgesetzt. Familien kommen zu großen Feierlichkeiten zusammen und verbringen gemeinsam die Weihnachtsfeiertage. Das trifft aber eben nur auf einen Teil der Bevölkerung zu. Und vor allem gestaltet sich das Weihnachtsfest für all jene, die alleine sind und zusätzlich an einer psychischen Erkrankung wie an Depressionen leiden, noch schwieriger, die Feiertage den Umständen entsprechend gut zu überstehen. „Mit einer Depression ist häufig verbunden, dass Menschen sich zurückziehen und alles meiden – damit wird es aber nur schlimmer“4, so Schöny.

Deswegen ist es auch wichtig, dem Alleinsein aktiv entgegenzutreten.

Notwendig sei es, so Schöny, dass man sich den Personen im Umfeld zuwende, sich mit ihnen austausche und im Falle einer psychischen Erkrankung auch über die eigenen Probleme spreche. Denn Betroffene würden oftmals darauf warten, bis sich jemand bei ihnen melde; die Eigeninitiative sei hier gefragt, auch dahin gehend, der Einsamkeit bewusst entgegenzusteuern.5 All jenen, die tatsächlich keine Bezugspersonen oder nähere Bekannten haben, mit welchen sie Kontakt aufnehmen können, empfiehlt Schöny, einfach aktiv zu werden und das Zuhause zu verlassen: „[Es] ist immer noch besser, irgendwo hinzugehen, wo andere Menschen sind“6, denn auch, wenn es Überwindung koste – „es wird nicht besser, wenn man nur im Bett liegen bleibt“7.

Nun liegen auch noch ganz neue Herausforderungen vor uns: Ein großes familiär geprägtes Weihnachtsfest, wie es für viele üblich ist, wird in dieser Form aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden können. Und wenn bereits all jene die im heurigen Jahr kleine Weihnachtsfeier im engsten Familienkreis betrauern – wie gestaltet sich sodann die Situation für Menschen, die von Vornherein allein sind? Denn der Rat von Schöny, sich Ablenkung beispielsweise auf Christkindlmärkten zu suchen,8 kann aufgrund der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht realisiert werden.

Wie also können alleinlebende Menschen dieses Jahr das Weihnachtsfest begehen?

Die in München praktizierende systemische Therapeutin Sarah Beyer empfiehlt für den Fall, keine Bezugspersonen zu haben, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, so auch mit losen Bekanntschaften, welche in derselben Situation seien.9 „Schauen Sie doch mal: Wer ist denn in meinem Umfeld vielleicht auch alleine? Vielleicht sogar in der Nachbarschaft? Wen könnte ich denn mal ansprechen?“10, so der Ratschlag von Beyer. Wichtig ist es demnach, dass man der Einsamkeit zu den Feiertagen bewusst entgegensteuert, indem man aktiv auf andere zugeht, ob nun auf Bekannte oder auf lose Kontakte, um diese zu vertiefen.

Wenngleich die Weihnachtszeit im heurigen Jahr andere Stressfaktoren mit sich bringt als üblich – statt eiliger Weihnachtseinkäufe und großer Familienfeiern, die akribisch geplant werden müssen, wird ein Fest im engsten familiären Rahmen begangen –, so sollte nicht darauf vergessen werden, dass die scheinbaren Probleme einer oftmals hektischen Weihnachtszeit banal sind im Vergleich dazu, das Weihnachtsfest zur Gänze alleine verbringen zu müssen. Wichtig ist es, sich auf das Zusammensein zu fokussieren, was, wie eben erläutert, nicht vorausgesetzt werden kann. Und wenn man dazu gezwungen sein sollte, Weihnachten – das Familienfest schlechthin – tatsächlich alleine zu verbringen, wodurch die Einsamkeit Überhand nehmen kann und man Hilfe benötigt, so bieten diverse soziale Dienstleister und Krisenteams Unterstützung an:

Psychosoziale Dienste
Ein vollständiges Adressverzeichnis aller steirischen psychosozialen Dienste finden Sie unter www.plattformpsyche.at »»

Online-Beratung von pro mente steiermark
E: onlineberatung@promentesteiermark.at

kostenlose und anonyme Beratung via E-Mail rund um die Uhr
Weiterführende Informationen zu unserem Online-Beratungsangebot finden Sie auf unserer Website unter Online-Beratung »»

Telefonseelsorge
Telefon: 142
kostenlose Beratung rund um die Uhr

KIT: Kriseninterventions-Team
Telefon: 130
bei aktuen Krisen und Notfallsituationen
Erreichbarkeit rund um die Uhr und kostenlos

 


1 Lesen Sie mehr zum Thema Einsamkeit in unserem Blogbeitrag Alleinsein vs. Einsamkeit: Eine Standortbestimmung für die Psyche »» vom 25.11.2020.

2 Vgl. Hombach, Stella: Weihnachtsblues: Macht Einsamkeit krank? In: derStandard.at. Veröffentlicht am: 21.12.2019.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000112496671/weihnachtsblues-macht-einsamkeit-krank [Stand: 02.12.2020].

3 Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr. Interview mit Werner Schöny. In: derStandard.at. Veröffentlicht am: 24.12.2016.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

4 Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

5 Vgl. Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

6 Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

7 Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

8 Vgl. Bernadette Redl: Weihnachten: Die traurigste Zeit im Jahr.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000049349539/weihnachten-die-traurigste-zeit-im-jahr [Stand: 02.12.2020].

9 Vgl. Lösch, Julia: O du einsame? Was helfen kann. Weihnachten in Zeiten von Corona. In: zdf.de. Veröffentlicht am: 28.11.2020.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-einsam-weihnachten-100.html [Stand: 02.12.2020].

10 Lösch, Julia: O du einsame? Was helfen kann. Weihnachten in Zeiten von Corona.
URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-einsam-weihnachten-100.html [Stand: 02.12.2020].

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Veröffentlicht am: 16.12.2020