Eine Struktur im Alltag zu haben, scheint zunächst banal, hilft jedoch – bei genauerer Betrachtung – enorm dabei, das psychische Wohlbefinden zu fördern und langfristig aufrechtzuerhalten.

Denn vor allem in Ausnahmesituationen wie jetzt in der Corona-Krise, wo es schwerfällt, den Tagesablauf wie gewohnt zu gestalten, ist es umso bedeutender, eine Struktur aufzubauen und sie auch beizubehalten.

Besonders jetzt während des Lockdowns werden viele selbst beobachtet haben, dass mit dem neuen Alltag – Homeoffice, Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit, sozialer Abstand bis hin zur Isolation – schnell ein Gefühl der Langeweile, des nicht Ausgelastetseins oder des Unmuts darüber, weniger oder nichts zu tun zu haben, entsteht. Beispielsweise ist hier Arbeit ein wichtiger Faktor (siehe dazu unser Blogbeitrag vom 11.11. Arbeit als wichtiger Faktor für psychisches Wohlbefinden »»), denn diese nimmt in der Regel mehrere Stunden täglich in Anspruch. Um unseren Job herum gliedern wir den Tag sodann weiter – wir machen Hausarbeit, erledigen Einkäufe, kochen und achten auf eine aktive Freizeitgestaltung und -planung; wir machen Sport, entspannen uns bewusst und pflegen unsere sozialen Kontakte. Der letztgenannte Punkt, welcher von großer Wichtigkeit ist, kann derzeit jedoch nicht ausreichend erfüllt werden, weswegen wir nun auch das Gefühl haben, in einer scheinbar endlosen und unbedeutenden Routine festzustecken. Aber auch wenn wir unsere Treffen mit Vertrauten nun stark einschränken müssen und uns damit nur noch vermeintlich Alltägliches und wenig Abwechslungsreiches bleibt, so geben uns gerade diese Strukturen enorm viel Sicherheit.¹

Doch warum ist das so und womit hängt dies zusammen?

„Bei routinemäßig durchgeführten Tätigkeiten weiß man genau, was einen erwartet“², so Gerd Schmid, Psychotherapeut in Ausbildung und diplomierter Burnout-Prophylaxe-Trainer aus Linz. Demgemäß widmen wir unsere Zeit jenen Arbeiten, die uns nicht unbekannt sind, was damit auch einschließt, dass neue, ungewohnte Situationen unsere Routine durcheinanderbringen und so das Gefühl der Sicherheit auch verschwindet. Denn wird unser Tagesablauf wie zum Beispiel unsere Essenszeit regelmäßig durchbrochen, so fühlen wir uns auf Dauer gestört.³ Und Schmid erläutert weiter, dass vor allem jetzt in der Corona-Krise wegen Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit kaum ein Tag dem anderen gleiche, wir unsere regelmäßigen Routinen vernachlässigen, was auf Dauer zu Stress führe.⁴

Wie können wir in solch außergewöhnlichen Zeiten unseren Alltag nun weiterhin gestalten?

Schmid führt hierzu Folgende Tipps an:⁵

• Vor allem regelmäßige Essens- und Schlafenszeiten sollten eingehalten werden.
• Bewegung im Freien fördert das allgemeine Wohlbefinden.
• Die Erstellung von Tagesplänen mit einer Auflistung der jeweiligen Aktivitäten schafft Routine und Sicherheit.
• Personen, die im Homeoffice arbeiten, sollten zudem darauf achten, Arbeit und Privates voneinander zu trennen.

Was bedeutet dies nun für all jene, die arbeitslos und zusätzlich noch psychisch krank sind?

Vor allem für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die aufgrund ihrer Diagnose keine berufliche Tätigkeit ausüben können, ist die Tagesstruktur gerade jetzt auch von enormer Bedeutung. Wie bereits im Blogbeitrag Wie nah geht mir das? Wie weit ist es von mir weg »» vom 28.10. ausgeführt, leiden erwerbslose Personen an fehlender Zeitstruktur, Geringschätzung der eigenen Fähigkeiten, Verminderung der Aktivitäten und an Identitätsverlust ob der fehlenden Perspektiven und Ziele, was langfristig psychisch belastend wirkt bzw. für Menschen mit psychischer Erkrankung eine enorme Herausforderung bedeutet. Damit aber gerade Betroffene dennoch Aussicht auf gesundheitliche Stabilisierung haben, gibt es diverse Tagesstruktur-Angebote von psychosozialen Diensten⁶ in ganz Österreich, um einer fehlenden Routine entgegenzusteuern.

Wie wichtig nämlich für sie selbst eine aktive Alltagsgestaltung mit unterschiedlichen Tätigkeiten ist, wurde im Gespräch mit einem Teilnehmer einer Tagesstruktur von pro mente steiermark deutlich:

Herr K. (die Person bleibt aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen anonym) ist 41 Jahre alt, leidet an Depressionen und besucht seit 15 Monaten 3 Mal wöchentlich von 08:00 bis 16:00 Uhr die Tagesstruktur. Er erzählte davon, wie er die Anfangsphase der Corona-Zeit erlebte, was ihm zu diesem Zeitpunkt besonders wichtig war und welche Vorkehrungen er trifft, damit es ihm – neben seiner Krankheit – trotz der belastenden Situation gut geht.

Gespräch vom 15.10.2020 mit Herrn K.:

Wie haben Sie den Beginn der Corona-Krise erlebt?
Für mich war das nicht normal, immerhin war ich während des Lockdowns 2 Monate daheim. Mir war oft langweilig, weswegen ich mich mehr im Freien aufgehalten habe, um auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem habe ich oft mit meinem Schwager, meiner Schwester und mit meinem Nachbarn telefoniert, denn persönliche Kontakte waren ja tabu, was mich oft auch traurig gestimmt hat. Mir ging es in dieser Phase im Allgemeinen nicht so gut, aber langsam pendelt es sich wieder ein.

Und was war Ihnen in dieser Zeit wichtig?
Die eben erwähnten Telefonate. Und dass ich auch wieder die Tagesstruktur (Anm.: sozialpsychiatrische Tagesstruktur von pro mente steiermark) besuchen kann und so wieder Kontakt zu den anderen Teilnehmern habe.

Was beunruhigt Sie in der aktuellen Zeit?
Dass ich mich selbst mit Corona anstecke. Deswegen halte ich auch alle Schutzmaßnahmen genau ein, trage meine Maske und halte Abstand. Außerdem gehe ich nun auch zu Fuß in die Tagesstruktur (Anm.: sozialpsychiatrische Tagesstruktur von pro mente steiermark), wofür ich ca. 20 bis 25 Minuten brauche. Dabei habe ich auch gemerkt, wie gut mir das tut.

Was tun Sie noch für sich, damit Sie sich wohlfühlen?
Ich versuche, nicht negativ, sondern positiv zu denken. Schön ist es auch, regelmäßig einer sinnvollen Arbeit (Anm.: in der sozialpsychiatrischen Tagesstruktur von pro mente steiermark) nachzugehen. In der Freizeit höre ich Musik, gehe spazieren, schaue auch manchmal fern. Zukünftig kann es nur besser werden.

Was ist Ihnen an der Tagesstruktur (Anm.: sozialpsychiatrische Tagesstruktur von pro mente steiermark) wichtig bzw. woraus genau ziehen Sie Ihren Nutzen?
Die sozialen Kontakte mit meinen Kollegen und die Unterstützung von den Trainern bei meinen Problemen. Aber am meisten gefällt mir die regelmäßige Beschäftigung – die ist am wertvollsten. Ich muss jetzt nicht mehr den ganzen Tag daheim sein und es ist gut, dass ich etwas wirklich Vernünftiges machen kann.

Dieses Gespräch mit Herrn K. macht deutlich, wie wichtig eine Struktur im Alltag für uns, im Speziellen aber für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist. Demgemäß sollten wir unseren Alltag mit erfüllenden Tätigkeiten, mit routinierten Arbeiten und mit Regelmäßigkeit gestalten, um das Gefühl von Sicherheit nicht zu verlieren und um ausgeglichen zu sein. Denn durch routinierte Abläufe und Situationen vermeiden wir Ungewohntes, was uns auf Dauer stresst. Und in weiterer Folge – durch die Stressreduktion beanspruchen wir unsere Psyche weniger stark, was uns dabei hilft, allgemeinen psychischen Belastungen positiver entgegenzutreten und langfristig auch seelisch gesund zu bleiben.

 

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¹ Vgl. Schmid, Gerd: Die Wichtigkeit der Tagesstruktur. In: Burnout vermeiden. Stressbewältigung und Burnoutprävention. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://www.burnoutvermeiden.at/die-wichtigkeit-der-tagesstruktur/ [23.10.2020].

² Schmid, Gerd: Die Wichtigkeit der Tagesstruktur. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://www.burnoutvermeiden.at/die-wichtigkeit-der-tagesstruktur/ [23.10.2020].

³ Vgl. Schmid, Gerd: Die Wichtigkeit der Tagesstruktur. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://www.burnoutvermeiden.at/die-wichtigkeit-der-tagesstruktur/ [23.10.2020].

⁴ Vgl. Schmid, Gerd: Die Wichtigkeit der Tagesstruktur. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://www.burnoutvermeiden.at/die-wichtigkeit-der-tagesstruktur/ [23.10.2020].

⁵ Vgl. Schmid, Gerd: Die Wichtigkeit der Tagesstruktur. Veröffentlicht am 18.05.2020.
URL: https://www.burnoutvermeiden.at/die-wichtigkeit-der-tagesstruktur/ [23.10.2020].

⁶ Informieren Sie sich über unser Hilfsangebot der Tagesstruktur mit verschiedenen steiermarkweiten Standorten unter https://www.promentesteiermark.at/projekttyp/tagesstruktur/ »».

Bildhinweis: Adobe Stock

Veröffentlicht am: 18.11.2020