Was ich heute kann besorgen, das verschiebe ich … auf morgen

 

Jede*r von uns hat schon die ein oder andere unangenehme Aufgabe aufgeschoben. Tut man dies immer wieder, kann jedoch enormer seelischer Leidensdruck entstehen.

Das Weihnachtsfest nähert sich mit großen Schritten. Womit sich viele spätestens jetzt beschäftigen, ist die Frage nach dem richtigen Geschenk für Familie, Freund*innen und Kolleg*innen. Und obwohl man sich vorgenommen hat, sich frühzeitig Gedanken darüber zu machen, schwirrt diese Frage kurz vor den Festtagen immer noch im Kopf herum. Natürlich hängt dies unter anderem damit zusammen, dass man etwas Besonderes schenken möchte, aber manchmal zögert man den Weihnachtseinkauf bzw. die Arbeit an einem selbstgemachten Geschenk mit Sätzen wie „Ich habe noch Zeit“ oder „Mir wird schon noch etwas einfallen“ einfach hinaus. Doch spätestens dann, wenn die Weihnachtsfeiertage näher rücken, entsteht Stress ob der noch nicht gekauften/vorbereiteten Geschenke. Die „Aufschieberitis“ kann jedoch dermaßen starke Ausmaße annehmen, sodass enormer Leidensdruck entsteht. Sodann spricht man von Prokrastination.

Wenn das Aufschieben zur psychischen Belastung wird

„Prokrastination ist das gewohnheitsmäßige Aufschieben von geplanten Aufgaben, die für persönliche Ziele wichtig sind und die eigentlich in einer absehbaren Zeit zu Ende gebracht werden müssen“1, wie der deutsche Psychologe und Psychotherapeut Fred Rist erklärt. Und obwohl jede*r das Phänomen kennt, unangenehme Aufgaben so lange wie möglich hinauszuzögern, besteht ein Unterschied zwischen der Prokrastination und dem gewöhnlichen Aufschieben: „Ein entscheidendes Merkmal von Prokrastination gegenüber dem bloßen Aufschieben ist: Der Aufschieber kommt zwar in Zeitdruck mit seiner zu erledigenden Tätigkeit, bringt sie aber einigermaßen zu Ende“2, so Rist. „Derjenige, der massiv prokrastiniert hingegen, erledigt sie mehr schlecht als recht nur auf den allerletzten Drücker. Oft kriegt er die Arbeit nur verspätet oder gar nicht mehr fertig und erleidet dadurch Nachteile“3, wie Rist erläutert. Werden Aufgaben also zu lange hinausgezögert, sodass sie auch kaum noch bewältigt werden können, wird das Aufschieben zum Stressfaktor.

Einfach nur faul?

Die Vermutung, dass hinter der Prokrastination schlicht Faulheit steckt, verneint Rist: „Jemand, der faul ist, hat nicht viel vor und fühlt sich wohl, wenn er nichts tut. Jemand, der unter Prokrastination leidet, fühlt sich hingegen gar nicht wohl. Seine Gedanken kreisen dauernd um die zu erledigende Aufgabe, auch wenn er versucht, sich abzulenken“4. Denn ein wesentliches Merkmal der Prokrastination ist, dass die Zeit, in welcher die unangenehme Aufgabe erledigt werden könnte, häufig mit ebenso unliebsamen Tätigkeiten gestaltet wird, wie beispielsweise mit Hausarbeit.5 „Zudem haben Prokrastinierer beim Erledigen einer Alternativaufgabe in der Regel ein schlechtes Gewissen und genießen die Zeit weniger bis gar nicht. Es ist also das Gegenteil von Faulheit“6, erklärt die Psychologin Laura Thomas von der Westfälischen Wilhelms-Universität.

Aufschieben bis zur Belastungsgrenze

Unter dem ständigen Aufschieben leidet nicht nur der Körper (Kopf- und Magenschmerzen oder Kreislaufprobleme treten bei Betroffenen häufiger auf), sondern vor allem auch die Psyche ungemein: Neben Stress, Erschöpfung und einer schwindenden Frustrationstoleranz kann Prokrastination Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen begünstigen. Und auch umgekehrt wurde festgestellt: Prokrastination tritt häufiger bei Menschen mit den ebengenannten Krankheiten auf, genauso auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen oder bei Anpassungsschwierigkeiten.7

Ursachenforschung

Und obwohl psychische Erkrankungen ursächlich für das Prokrastinieren sein können, ist das Phänomen noch nicht ausreichend erforscht, um die Entstehung genauer auszumachen. Doch daneben geht man auch von gewissen Persönlichkeitsmerkmalen wie übertriebenem Perfektionismus in Kombination mit Versagensangst als Ursache aus; zudem werden genetische Zusammenhänge vermutet.8 Auch fehlende Selbstkontrolle kann dahinter stecken: Zwar ist der Wille da, eine Aufgabe zu erledigen, aber man kann sich nicht dazu überwinden, sie auch tatsächlich durchzuführen. Und ein schleppendes Vorankommen bei unliebsamen Aufgaben kann ebenso dazu führen, dass man sich eher anderen Tätigkeiten zuwendet, deren Ergebnis schneller sichtbar wird. Des Weiteren könnte die Angst vor Misserfolg Grund für das Aufschieben sein. Und um diesen nicht erleben zu müssen, fängt man mit einer Aufgabe gar nicht erst an,9 „[d]enn ein Misserfolg würde ja unser Selbstwertgefühl bedrohen und uns weiter verunsichern“10, wie Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Leipzig erklärt. Nicht zuletzt kann Prokrastination mit der Aufgabe an sich zusammenhängen: „Vor allem, wenn die Aufgabe zu komplex, zu wenig definiert ist, wenn sie inhaltlich nicht besonders herausfordernd und motivierend ist, fällt es oft schwer, sie anzugehen“11, weiß Zacher.

Aktiv gegen Prokrastination

Doch wie kann man Prokrastination überwinden und damit auch negativen körperlichen und psychischen Folgen entgehen? Die nachstehenden Tipps haben sich dabei als effektiv erwiesen:12

  • Aufgaben priorisieren
    Schon das Schreiben einer To-do-Liste mit anschließender Priorisierung der einzelnen Aufgaben kann gegen das ständige Aufschieben helfen. Und motivierend sind die Listen vor allem dann, wenn erledigte Punkte abgehakt/durchgestrichen werden.
  • Planung ist das A und O
    Mit Vermerken, wann begonnen werden möchte, wo die Arbeit ausgeführt und wie viel Zeit aufgewendet werden möchte, welches Ziel erreicht werden soll, schafft man die Rahmenbedingungen, um Aufgaben strukturiert auszuführen.
  • Störungen vermeiden
    Ablenkung beispielsweise durch Mediennutzung (vor allem durch soziale Medien)13 oder durch andere Personen sollte vermieden werden.
  • Große Aufgaben in Teilbereiche gliedern
    Bei größeren Projekten sollten Teilbereiche festgelegt werden, um Schritt für Schritt voranzukommen und um Erfolgserlebnisse zu haben.
  • Selbstreflexion
    Sich selbst zu fragen, warum man eine Aufgabe aufschiebt, kann dabei helfen, die ermittelten Störungsfaktoren und Gewohnheiten zu durchbrechen.
  • Leistungsphasen beachten
    Kennt man seine täglichen Leistungshochs und -tiefs, fällt das Arbeiten leichter.
  • Freizeit einplanen
    Aber auch Pausen und Entspannungsphasen müssen sein. Bei der Planung der Arbeitsschritte dürfen diese nicht fehlen, womit auch Stress nicht überhandnimmt.

Lässt sich prokrastinierendes Verhalten trotz der eben angeführten Tipps nicht ändern, empfiehlt es sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Vor allem die kognitive Verhaltenstherapie wird in solchen Fällen angewandt, denn durch sie können gewohnte Muster durchbrochen und neue Strategien angeeignet werden.14

Um gemäß den Ausführungen unnötigen Stress zu vermeiden und schwerwiegendere psychische Belastungssymptome genauso wie körperliche Beschwerden erst gar nicht aufkommen zu lassen, sollte überlegt werden, warum gewisse Aufgaben so lange hinausgezögert werden. In vielen Fällen lässt sich die „Aufschieberitis“ mit einfachen Methoden gut bekämpfen. Wenn sie jedoch zu Leidensdruck führt und auch mögliche Problemlösungsansätze nicht greifbar sind, sollte nicht gezögert werden, Professionist*innen hinzuzuziehen.

Und in Bezug auf die Weihnachtsgeschenke? Sich den Vorsatz zu fassen, im nächsten Jahr zeitnah daran zu denken und sich schon früh zu überlegen, was wem geschenkt werden möchte, verhindert Stress in den letzten Adventtagen und steigert die Vorfreude auf das Weihnachtsfest.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen frohe Weihnachten und besinnliche Feiertage!

 


1 von Liebe, Sylvaine: So könnt ihr eure Aufschieberitis überwinden. In: ardalpha.de. Veröffentlicht am 08.03.2023.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/prokrastination-ueberwinden-definition-ursache-behandlung-aufschieberitis-prokrastinieren-100.html [Stand: 17.11.2023].

2 von Liebe, Sylvaine: So könnt ihr eure Aufschieberitis überwinden.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/prokrastination-ueberwinden-definition-ursache-behandlung-aufschieberitis-prokrastinieren-100.html [Stand: 17.11.2023].

3 von Liebe, Sylvaine: So könnt ihr eure Aufschieberitis überwinden.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/prokrastination-ueberwinden-definition-ursache-behandlung-aufschieberitis-prokrastinieren-100.html [Stand: 17.11.2023].

4 von Liebe, Sylvaine: So könnt ihr eure Aufschieberitis überwinden.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/prokrastination-ueberwinden-definition-ursache-behandlung-aufschieberitis-prokrastinieren-100.html [Stand: 17.11.2023].

5 Vgl. Hentsch, Anna-Kathrin: Prokrastination: Wann Aufschieben krankhaft wird. In: nationalgeographic.de. Veröffentlicht am 03.11.2020.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/10/prokrastination-wann-aufschieben-krankhaft-wird [Stand: 17.11.2023].

6 Hentsch, Anna-Kathrin: Prokrastination: Wann Aufschieben krankhaft wird.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/10/prokrastination-wann-aufschieben-krankhaft-wird [Stand: 17.11.2023].

7 Vgl. Plahl, Silvia: Prokrastination – Wann Aufschieben schadet und wann es nützt. In: swr.de. Veröffentlicht am 19.04.2023.
URL: https://www.swr.de/swr2/wissen/prokrastination-wann-aufschieben-schadet-und-wann-es-nuetz-100.html [Stand: 17.11.2023] und
vgl. von Liebe, Sylvaine: So könnt ihr eure Aufschieberitis überwinden.
URL: https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/prokrastination-ueberwinden-definition-ursache-behandlung-aufschieberitis-prokrastinieren-100.html [Stand: 17.11.2023].

8 Vgl. Hentsch, Anna-Kathrin: Prokrastination: Wann Aufschieben krankhaft wird.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/10/prokrastination-wann-aufschieben-krankhaft-wird [Stand: 17.11.2023].

9 Vgl. Schnetzer, Laura: Warum Aufschieberitis oft anerzogen ist. In: derstandard.at. Veröffentlicht am 12.05.2023.
URL: https://www.derstandard.at/story/2000145690081/warum-aufschieberitis-oft-anerzogen-ist [Stand: 17.11.2023].

10 krm: Warum der innere Schweinehund krank macht und wie man ihn vertreibt.
URL: https://www.mdr.de/wissen/verschieben-macht-krank-prokrastination-was-sie-tun-koennen100.html [Stand: 17.11.2023].

11 krm: Warum der innere Schweinehund krank macht und wie man ihn vertreibt.
URL: https://www.mdr.de/wissen/verschieben-macht-krank-prokrastination-was-sie-tun-koennen100.html [Stand: 17.11.2023].

12 Vgl. AOK Gesundheitsmagazin: Prokrastination: 15 Tipps gegen das ständige Aufschieben. In: aok.de. Veröffentlicht am 29.04.2021.
URL: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/motivation/wie-sie-sich-vom-prokrastinieren-verabschieden/ [Stand: 17.11.2023].

13 Vgl. Schaarschmidt, Theodor: Morgen mach ich’s bestimmt! In: spektrum.de. Veröffentlicht am 07.12.2018.
URL: https://www.spektrum.de/news/morgen-mach-ichs-bestimmt/1611516 [Stand: 17.11.2023].

14 Vgl. Hentsch, Anna-Kathrin: Prokrastination: Wann Aufschieben krankhaft wird.
URL: https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/10/prokrastination-wann-aufschieben-krankhaft-wird [Stand: 17.11.2023].

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Veröffentlicht am: 13.12.2023